Großmutters Schuhe
Schönen sind einfach überlegen,punctum, da gibt es nichts zu deuteln und nichts zurechtzurücken, wie man uns weismachen will. Wenn ich David anschaue, kann ich immer weniger glauben, dass er Stefanies Enkel ist, dabei hat er ja gewisse Familienähnlichkeiten, aber quasi veredelt, so lächerlich das klingen mag, diese beiden, unsere Patricia und Stefanies David, die gehören in unsere Familie und gleichzeitig überhaupt nicht, die sind wie von einem anderen Stern. Ja, ich nehme mir die Freiheit heraus, so einen abgeschmackten Vergleich zu verwenden, ich wüsste keinen besseren. Na und? Wozu reg ich mich auf? Ich betrachte meine eigene Enkelin und meinen Großneffen wie zwei Fremde, Kunstwerke. David ist wirklich ein schöner Mensch, nicht hübsch, nicht gut aussehend, er ist tatsächlich schön, und diese leichte linkische Verlegenheit, diese kaum wahrnehmbare Verzögerung, bis er merkt, dass er tatsächlich angesprochen wird, setzt seinen sonstigen Reizen noch ein Quentchen Rührung auf, als Krönung. Bei mir wirkt das nicht, o nein. Gegen diese Art von Verführung bin ich immun, im Gegensatz zu meiner Mutter. Ich wüsste schon gern, ob ihr klar war, wie viel Erotik in ihrem Blick auf den Urenkel lag. Wenn ich sie je gefragt hätte, hätte sie mich für verrückt erklärt oder, schlimmer noch, das Thema gewechselt und sich bald darauf verabschiedet, in ihrer eigenen Wohnung hätte sie ein Gähnen unterdrückt, aber dieses Gähnen hätte sie ganz bewusst eingesetzt, um so tun zu können, als hätte sie es unterdrückt. Sie war eine Meisterin in der Kunst, anderen sehr deutlich zu zeigen, dass sie sich komplett danebenbenommen hatten, und dabei kein unhöfliches Wort zu sagen. Immer hat sie mich kleingemacht, immer. Selbst wenn sie ausnahmsweise etwas Freundliches sagte. Du siehst aber heute hübsch aus. Da schwang so viel Überraschung mit, als wäre es kaum zu glauben, dass einewie ich tatsächlich an diesem einen Tag, in dieser einen Minute, hübsch sein könnte. Wahrscheinlich wurde deshalb meine Ehe so, wie sie eben wurde. Aber daran bin doch nicht ich schuld! Ich hab mir den Spiegel nicht ausgesucht, den Spiegel in den Augen der anderen. Wer sich selbst nicht liebt, kann nicht lieben und nicht geliebt werden. Warum zum Kuckuck spielt das heute noch eine Rolle? Ich bin eine alte Frau. Punkt. Manchmal frage ich mich, ob ich je jung war, jedenfalls nicht jung, wie es die Jungen heute sind. Mama schon eher, aber es war auch eine andere Zeit, als sie es lernte, jung zu sein. Hübsch war sie immer, nein, schön. Einen Handkuss an deine schöne Mama. Wie oft hab ich das gehört. Als Jugendliche hätte ich schreien mögen, wenn alle meine Freundinnen mich beneidet haben um meine wunderbare Mutter, es hätte keinen Sinn gehabt, ihnen zu erklären, dass sie für mich keineswegs wunderbar war und nicht das, was ich als Mutter gebraucht hätte. Ich sehe mich noch in ihrem Kleiderkasten sitzen, drei oder vier Jahre alt, ich glaube, es ist meine früheste Erinnerung, sie war mit Papa ausgegangen, zu irgendeiner großen Festlichkeit, doch, das gab es noch, obwohl längst Krieg war, vermutlich eine Premiere in der Oper oder im Theater, schön war sie wie eine Prinzessin in ihrem grün schillernden Seidenkleid, ich wollte sie umarmen, da schubste sie mich weg, lachend, du zerdrückst mein Kleid, und sauber sind deine Hände auch nicht, ich bin irgendwann in ihrem Schrank eingeschlafen und am nächsten Tag war sie wütend, weil ich meine nasse Nase in ihre Kleider gesteckt hatte. Von David ließ sie sich umarmen und abküssen, auch wenn sein Gesicht von Rotz verschmiert war.
Ausgerechnet Mathematik will sie studieren, höre ich sie noch zu ihren Freundinnen sagen, eine antwortete allen Ernstes, Mathematik sei schlecht für den Teint, und alle lachtendieses widerlich glockenhelle Lachen ihrer Generation und ihrer Kaste. Bei meinem Teint, sagte ich am Abend zu ihr, würde es wenig Unterschied machen und sie tätschelte meine Hand. Widersprochen hat sie mir nicht.
Wie Eberhard dasteht, wie er bedächtig das Sakko aufgeknöpft, wie er die drei Kärtchen aus der Innentasche gezogen hat – die hat bestimmt seine Sekretärin für ihn getippt, dieser Ausbund an Perfektion, die immer besser weiß als er selbst, was er denkt und was er will. Er folgt ihr auch aufs Wort. Irgendwann haben mich alle gewarnt, er sei dieser Frau verfallen und ich müsse rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen, schließlich sei sie um zwanzig Jahre jünger
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