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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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hast gelacht und gesagt, wenn ich nicht kurz vor der Geburt wäre, würdest du glauben, ich erwarte einen Liebhaber. Als ihr endlich draußen wart, ließ ich mich in einen Sessel fallen.Meine Beine begannen zu zittern, meine Knie schlugen aneinander, meine Zähne klapperten, ich fror und gleichzeitig spürte ich den Schweiß auf der Oberlippe. Damals habe ich erlebt, was es heißt, wenn die Angst sich in die Eingeweide krallt, dass das nämlich keine Floskel ist. Ich wollte aufstehen und konnte nicht, starrte nur auf die Uhr an der Wand. Zwei Minuten nach halb vier klingelte es. Ich erhob mich, das würde ich sonst nie sagen, aber in dem Moment war es wirklich so, dass ich mich erhob, oder vielleicht noch genauer, es erhob mich, und im selben Augenblick fiel die Angst von mir ab und ich ging, nein, schritt völlig ruhig zur Tür. Ich schaute nicht durch den Spion, ich öffnete einfach. Da stand die achtjährige Tochter der Nachbarin und fragte, ob Anna zum Spielen in die Sandkiste kommen dürfe. Es gelang mir gerade noch zu sagen, dass Anna mit ihrer Oma einkaufen war, und die Tür zu schließen, dann schüttelte es mich. Vielleicht kann man auf Vorrat weinen, damals hab ich wahrscheinlich alle Tränen verbraucht, die mir für ein ganzes Leben zugeteilt waren. Als du zurückkamst, Mama, hatte ich mir schon das Gesicht gewaschen, du hast mein Kinn gehoben und genickt und dann hast du Kaffee gekocht. Du hast sogar gefragt, ob ich reden will, da hab ich natürlich den Kopf geschüttelt. Sonst hättest du am Ende gefunden, ich wäre eine hysterische Person. Das hätte mir gerade noch gefehlt.

Hanka hatte die Frage aufgeworfen, wer von den Gästen mit wem verheiratet sein könnte, und damit ständig wechselnde Vermutungen in Gang gesetzt. Selbst Bärbel beteiligte sich, obwohl sie die Gäste gar nicht gesehen hatte. Ihre Trefferquote war nicht niedriger als die der anderen. »Heiratung ist schwere Arbeit« , stellte Hanka fest, »kann man sehen an diese Leute, besonders an Frauen. Aber gelbe Bluse ist arbeitslos.«
    Es dauerte eine Weile, bis Lisa und die Köchin verstanden, was Hanka sagen wollte: dass nämlich die junge Frau ihrer Ansicht nach garantiert unverheiratet war. Was man schon an ihrer glatten Stirn sehen könne.
    »Du hast eine zu schlechte Meinung von der Ehe« , sagte Bärbel.
    Hanka wehrte sich. »Nix Meinung, Obachtung.«
    Alban pflanzte sich vor Hanka auf. Es sei schlimm, wenn ein so junger Mensch so zynisch und negativ denke, sie scheine sich auch noch zu gefallen in dieser Rolle, das sei ganz und gar unangebracht, so ruiniere sie ihr Leben, noch bevor es richtig begonnen habe.
    Hanka stampfte auf. Sie sei kein kleines Kind, und er solle gefälligst aufhören, sie zu behandeln, als wäre er ihre Großmutter. In der Aufregung geriet ihr Deutsch immer mehr durcheinander, sie begann mit den Armen zu rudern, als könne sie so die Wörter einfangen, die ihr fehlten, was sie noch wütender machte. Schließlich trommelte sie mit ihren kleinen
Fäusten an Albans Brust. »Ich selber Babuschka von mich. Nix du!«
    Alban schüttelte den Kopf, Hanka wirkte, als würde sie gleich platzen, ihr Gesicht war völlig verzerrt.
    Bärbel flüsterte Lisa zu, es wäre gut, einen Topf mit Wasser zu füllen, kaltes Wasser sei immer noch das beste Mittel gegen Hysterie.
    Plötzlich zuckte Hanka mit den Schultern, legte Alban die Arme um den Hals und senkte verlegen die Augen. Er legte ihr eine Hand auf den Kopf. »Ist gut.«
    »Nix gut. Ich nix gut. Du gut. Babuschka gut.« Sie begann zu weinen.
    Alban ließ Arme, Kopf und Oberkörper hängen, ein Bild der Hilflosigkeit. Lisa überlegte noch, ob sie etwas tun konnte, da hatte Bärbel schon Hanka in die Arme genommen, wiegte sie hin und her und summte ihr leise ins linke Ohr. Augenblicke später richtete sich Hanka auf, trocknete ihre Tränen mit dem Handrücken, küsste die Köchin auf beide Wangen, lächelte Alban zu und sagte: »Große Dank, Babuschka.«
    »Freches Stück« , brummte Bärbel.
    »Du nix Babuschka« , korrigierte Hanka. »Er Babuschka.«

Theresa, 41
    Oma, das war nicht recht von dir. Gerade dann zu sterben, wenn ich dich brauche. Mit wem soll ich denn jetzt reden? Mama wird sagen, natürlich musst du abtreiben, du weißt doch hoffentlich, wie alt du bist, das Risiko ist viel zu groß. Ich habe ja auch zuerst gedacht, das wäre der Beginn der Menopause, ein bisschen sehr verfrüht, aber das kommt vor, und dann konnte ich es nicht glauben, als ich es am Morgen

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