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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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als ich und den ganzen Tag mit ihm zusammen. Komisch, ich dachte nie, dass er mit der etwas anfängt, mit anderen schon, aber gewiss doch, nur nicht mit der, und inzwischen ist ja wohl klar, dass sie für ihn eine Art Mutterersatz darstellt, eine Mutter, die fünfundzwanzig Jahre jünger ist als er und die ihm sagt, was er zu tun hat. Dabei sagt sie Ja, Chef und Nein, Chef, ganz ohne Ironie. Jetzt setzt er die Brille auf, sortiert die Kärtchen, legt sie vor sich auf den Tisch, streift sein Sakko glatt, blickt über den Brillenrand in die Runde, hebt die Hand, klopft mit dem Fingernagel an sein Weinglas, als wollte er es stimmen, sein Hemd schlägt beim Einatmen barocke Wellen, er ergreift ein Messer, schlägt damit an das Glas. Er hält das wohl für staatsmännisches oder jedenfalls dem Anlass angemessenes Gehabe. Vor fünfzig Jahren bekam ich Herzklopfen, wenn jemand den Namen dieses Mannes aussprach, erinnern kann ich mich noch daran. Er räuspert sich, aber diskreter als bei seiner letzten Rede. Die Sekretärin hat ihm wohl gesagt, wie provinziell allzu ausführliches Räuspern wirkt. Natürlich nicht so plump, das ist nicht ihre Art, verpackt in einen Bericht über einen anderenRedner an einem anderen Ort, aber er hat verstanden, dumm ist er ja nicht, jedenfalls klug genug, den Rat einer klügeren Frau anzunehmen, sofern es nicht die eigene ist. Guter Gott, er fängt tatsächlich an mit »Wir sind hier versammelt, um in der gemeinsamen Trauer Trost zu finden. Unsere geliebte Urgroßmutter, Großmutter, Mutter, Schwiegermutter …« Blabla. Blabla. Blablabla. Auf den Glühbirnen liegt Staub, besonders auf der wie eine Flamme gedrehten, die stört sowieso, passt nicht zu den anderen, unwillkürlich blickt man auf sie, sie wird zum Mittelpunkt und stört die Symmetrie. Mama hätte beim Hereinkommen schon den Ober gerufen und ihm ins Ohr geflüstert, diese Glühbirne störe, oder habe man sie absichtlich eingeführt, um zu unterstreichen, wie perfekt alles andere im Raum aufeinander abgestimmt sei? Dabei hätte sie an ihren Lippen genagt, um nicht lachen zu müssen. Lammfromm hätte er eine Leiter angeschleppt und wäre hinaufgeklettert. Er hätte sich wahrscheinlich sogar noch entschuldigt und sie hätte huldvoll abgewinkt. Fremde Menschen haben es immer als Auszeichnung empfunden, von ihr um etwas gebeten zu werden. Ich natürlich nicht, Stefanie ebenso wenig, aber wehren konnten wir uns auch nicht gegen sie. Ich bin sicher, sie hätte lieber Söhne gehabt als Töchter, da kann einer sagen, was er will, es ist doch immer noch so, dass ein Sohn eine Frau in eine andere Kategorie katapultiert, endlich kein Mangelwesen mehr. Unsinn, Mutter war kein Mangelwesen, sie nicht. Aber trotzdem hätte sie lieber Söhne gehabt. Natürlich schwafelt er jetzt von ihrer Wärme, ihrem Charme, ihrer Aufopferung für die Familie. Kein Wort davon, dass sie eigentlich kaum etwas getan hat, organisiert hat sie, das wohl, hat dafür gesorgt, dass andere tun, was zu tun ist, vorzugsweise ich, Stefanie war auch nicht so verzweifelt angewiesen auf das Lob, mitdem Mama einen überschüttete, wenn man getan hatte, was sie wollte, und meist ein bisschen mehr, sie hätte sich ja eher die Zunge abgebissen, als zu sagen, was sie erwartete. Wie sollte man sich dagegen wehren? Keine Chance, weil ich doch wusste, dass ich eine Enttäuschung war von Anfang an und dass ich diese Enttäuschung nicht wettmachen konnte. Wie lange habe ich gebraucht, bis ich ihre Inszenierungen durchschaute. Alle Welt hat sie dafür bewundert, dass sie Marie und ihrem Buben ein Heim gegeben hat, keiner hat auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, was sie gewonnen hat: eine perfekte Wirtschafterin, die ihr den ganzen Haushalt abgenommen hat und auch noch ewig dankbar war. Ein leuchtendes Vorbild für ihre gesamte Familie – diese Rührung in Eberhards Stimme, gerade so dosiert, dass sie noch männlich wirkt –, für ihre Familie, die alles daransetzen wird, das Licht weiterzutragen … O ja, Mama, so hättest du es gern, wie hübsch für dich, von allen geliebt und bewundert zu werden dafür, dass du sie ausnützt. Wem würde das nicht passen? Eins sage ich dir, ich stehe ab sofort nicht mehr als ausführendes Organ zur Verfügung, ich nicht, es hat sich ausgetöchtert, ich bin nur mehr Rieke, Friederike, um es genau zu nehmen, als Stammhalter geplant, als Tochter geboren, aber ätsch, Stephan wurde auch eine Stefanie. Ach, Männlein, du glaubst doch nicht

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