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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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gefalle.
    »Viel zu eng« , sagte die. »Würd ich sprengen, wenn ich überhaupt die Arme hineinbekäme. Außerdem – die ist gelb wie ein Feuersalamander. Mit der Farbe sagt er allen anderen Viechern, dass er ungenießbar ist, hab ich im Radio gehört.« Die meisten Menschen betrachteten Kleidung aus dem Blickwinkel, ob sie zu ihnen passen würde, Bärbel war eine der ganz wenigen, die das offen zugaben.
    Alban lachte. »Frau sagt auch mit Farbe, du kannst mich nicht auffressen. Besonders gegen Mann, der Spücke tropft.«
    »Spucke« , korrigierte Lisa.
    »Du sollst ihn nicht immer kritisieren. Er kann eh schon sehr gut Deutsch« , sagte Bärbel. Alban strahlte vor Freude und Dankbarkeit. Sie hatte ihm verziehen. Wenn er nur wüsste, was sie ihm verziehen hatte.
    Lisa wiegte den Kopf hin und her. Seine Sprachfehler ausbessern, das kann ich. Wo er sich verrennt, das sag ich ihm nicht. Sturköpfe seid ihr, alle beide. Und so blöd, wie nur ziemlich kluge Leute sein können.
    Bärbel rührte in ihren Töpfen, dass die Tropfen auf den heißen Platten zischten.

Friederike, 69
    Ich wollte ja einen Stuhl für sie am Tisch stehen haben, mir kommt vor, als wäre die Leere, die sie hinterlässt, nicht gar so bedrohlich, wenn es einen richtigen Platz für diese Leere gäbe, dann würde sie nicht so ausufern und alles auffressen. Aber wie könnte ich das erklären, hätte doch keiner verstanden. Höchstens Louise, obwohl ich auch da nicht sicher bin, aber sie kennt jedenfalls das Prinzip durch ihren Garten, es heißt doch immer natura abhorret vacuum. Abhorret, das ist schon eine sehr starke Form der Ablehnung. Leere ist wider die Natur, aber vielleicht ließe sich sogar die Leere bändigen. Nicht, dass ich ein Drama daraus gemacht hätte, ich hätte nur eine Kerze auf das Gedeck gestellt, und ihr Nichtmehrdasein hätte nicht allen die Luft zum Atmen genommen. Es ist höchst verwunderlich, dass sie es anscheinend nicht merken, ich kann mir das nicht erklären, nicht einmal Sophie hat einen ihrer Asthmaanfälle bekommen, sie wirken nur alle leblos, man hat vergessen, die Spinnweben zu entfernen. Genau genommen sehen sie aus wie einbalsamiert, auch die Jungen. Nicht einmal die beiden Kleinen ändern etwas daran. Wir hatten uns alle längst daran gewöhnt, Andreas als alten Junggesellen zu betrachten, es kommt mir immer noch komisch vor, ihn als Vater von zwei Kindern zu sehen, zwei Kindern, die ihm nota bene geradezu lächerlich ähnlich sehen, Rainer heißt der eine, der andere glaube ich Yve, warum einen französischen Namen, aber bitte, jeder wie er will, suum cuique, so heißt es doch bei Cicero, vorläufig brauchendie Kleinen ihre Namen sowieso noch nicht, die werden geschont wie früher das Sonntagsgewand, mein Kleiner, mein Schatz, mein Spatz, mein Mäuschen, nein, das gilt nur für Mädchen, darüber könnte man auch einmal nachdenken, bei Säuglingen mag das noch angehen, aber es bleibt ja doch oft hängen, in meiner Klasse gab es eine Mausi, die schon mit dreizehn mehr als achtzig Kilo wog. In der Schule haben sie kurz ihre richtigen Namen, aber bald darauf oft einen Spitznamen. Und trotzdem haben sich wegen der Namen ganze Familien zerkracht. Eine halbe Flasche Ketchup haben die beiden sich schon um den Mund geschmiert. Mir soll’s recht sein. Meine Kinder hätten jedenfalls nie so herumferkeln dürfen mit dem Essen, auch die Enkelkinder nicht. Wie hübsch Patricia geworden ist, anscheinend hatte Mama doch recht, die immer behauptete, aus den hässlichsten Babys würden die schönsten Erwachsenen – und umgekehrt. Sie hätte nicht jedes Mal hinzufügen müssen, dass ich ein schönes Baby war. Schönheit, das war eine Kategorie für sie; eine Zeitlang habe ich versucht, mit ihr darüber zu sprechen, dass es auch noch andere Werte gibt, da hat sie mich beinahe mitleidig angeschaut und eine dieser Gesten vollführt, die keine Salondame an der Burg so beherrschte wie sie: rechte Hand hochgehoben, Unterarm in einem Winkel von etwa 100 Grad hochgestellt, aus dem Gelenk heraus mit abgespreiztem Daumen die Hand nach rechts geworfen, dabei die Schultern ganz leicht angehoben, Kinn hoch und zurück, Zucken in den Mundwinkeln – und dazu ein müdes, resigniertes, halb entschuldigendes und gleichzeitig hochmütig überlegenes: »Ich bin halt einmal eine alte Ästhetin.« Ästhetik als moralische Kategorie. Sinnlos, mit ihr darüber zu diskutieren. Ich muss es wissen, habe es oft genug und vergeblich genug versucht. Die

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