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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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vor die Hunde geht. Der Staat geht zwarauch vor die Hunde, aber daran ist wenigstens nicht mein Fleisch und Blut schuld, das haben andere besorgt. Es wird nicht lang dauern nach meinem Tod und sie werden vergeudet haben, was ich ihnen hinterlasse. Eigentlich sollte ich das Tierschutzhaus als Erben einsetzen oder von mir aus die Hilfsgemeinschaft verwaister Großväter, wenn es so etwas gibt. Sollte es, vielleicht gründe ich sie als e. V. Wenn ich es mir genau überlege, wird wahrscheinlich Claudia die Einzige sein, die einmal ehrlich um mich trauern wird. Ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte, ohne ihre Verlässlichkeit, ihre Tüchtigkeit, ihre Kritikfähigkeit auch, die nie verletzend war, ohne die Anerkennung, die ich bei ihr fand. Manchmal frage ich mich, was geworden wäre, wenn ich mich hätte scheiden lassen und sie geheiratet hätte. Jeder braucht jemanden, der an ihn glaubt. Und Claudia ist die Einzige, die immer an mich geglaubt hat. Natürlich sind alle fest überzeugt, dass ich mit ihr ein Verhältnis habe. Es wundert mich ja selbst, dass dem nicht so ist. Nicht, dass sie mich in der Hinsicht kaltließe, aber irgendwie war da immer eine Grenze. Ein einziges Mal habe ich sie in den Armen gehalten, als sie mitten im Diktat die Nachricht bekam, dass ihr Bruder verunglückt war. Eigentlich haben wir etwas versäumt, ich ganz sicher. Wenn ich es so recht bedenke, habe ich viel versäumt. Einen Baum habe ich gepflanzt, ein Haus gebaut, einen Sohn habe ich gezeugt. Es heißt, das würde genügen. Warum fühle ich mich dann so leer? Ein erfülltes Leben hat Ditta gehabt, sagte der Pfarrer. Ob sie selbst das auch so gesehen hat? Und ist es köstlich gewesen, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen. Denn alles Fleisch, es ist wie Gras. Wie kommt der Brahms in meinen Kopf? Es ist Jahre her, seit ich das Deutsche Requiem gehört habe. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Meine Mutter hat mich niegetröstet. Reiß dich zusammen, ein Indianer weint nicht. Wie hart sie war, aber es ist ihr wohl nichts anderes übrig geblieben, mit einunddreißig Witwe, eine winzige Pension und eine Schwiegermutter, die sich nach dem Tod ihres einzigen Sohnes ins Bett gelegt hat und nicht mehr aufgestanden ist. Mutter hat sie gehasst und aufopfernd gepflegt, bis sie endlich mit über neunzig gestorben ist, da war ich schon verheiratet. Jahre nach Großmutters Tod klebte mir der Geruch von Pisse vermischt mit Desinfektionsmitteln und Möbelpolitur immer noch in der Nase, wenn ich meine Mutter besuchte, obwohl sie ja nun wirklich tagein, tagaus schrubbte und putzte. Da konnte ich mich schnäuzen und Wasser hochziehen und wieder ausprusten, es half alles nicht. Wenn ich in ein Pissoir gehen muss oder nur im Park daran vorbeikomme, fällt mir meine Großmutter väterlicherseits ein, das ist doch nicht normal. Wie oft habe ich Mutter angeboten, eine andere Wohnung für sie zu finden, sogar einen Anbau an meinem Haus wollte ich für sie machen mit eigenem Eingang, aber sie ließ sich nicht beirren in ihrer Opferrolle. Auf mich braucht ihr gar keine Rücksicht zu nehmen. Wie oft ich das gehört habe, die geballten Fäuste tief in die Hosentaschen gesteckt. Ganz zum Schluss genoss sie es, umsorgt zu werden, die letzten Wochen im Krankenhaus waren ihre besten seit vielen Jahren, trotz der Schmerzen hat sie beinahe glücklich gewirkt. Die Schwiegermutter hat ihr nie verziehen, dass sie ihr den Sohn weggenommen hatte, sagte sie, aber um ihr den Hintern zu putzen und die Zahnprothese, dazu war sie gut genug. Dem ewig unzufriedenen Nörgeln und Geschimpfe habe sie einen halblaut gebeteten Rosenkranz entgegengesetzt und dann und wann ein unerträglich süßes Ja, Mamá, Selbstverständlich, Mamá, Wie du willst, Mamá. Natürlich hätten alle Besucher, und es gab viele anfangs,ihre engelhafte Geduld und Selbstverleugnung gepriesen und der Alten ans Herz gelegt, wie glücklich sie sich schätzen müsse. »Dann musste sie zähneknirschend betonen, wie dankbar sie mir war, das muss ihr schrecklich schwergefallen sein. Als es aufs Ende zuging, hat sie vielleicht auch verstanden, dass das meine Form der Rache war. Wenn es ein Wiedersehen gibt drüben, dann kann dein Vater mir nichts vorwerfen, er nicht.« Sie lächelte listig, und ich bin fast erstickt an der ungestellten Frage, ob sie je auch an mich gedacht hat. »Ich habe meine Pflicht getan, da kann ich mir nichts vorwerfen«, sagte sie, und mir stellten sich die Haare im

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