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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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richtig setzt. Ich hätte am liebsten Ableger aus demGarten auf meinem Grab, ein schönes, buntes Durcheinander wie in alten Bauerngärten, wo seit vielen Jahren Samen von Gott weiß wo gelandet sind. Aber das ist leider gar nicht leicht herzustellen, und wer wird sich schon um mein Grab kümmern? Ist weiter nicht schlimm, was mich viel mehr stört ist die Tatsache, dass mein Garten womöglich nach meinem Tod geordnet und begradigt wird, dass Gänseblümchen, Ehrenpreis, Männertreu, Löwenzahn ausgerottet werden, dass die armen Raupen von Pfauenaugen und Admiralen weit und breit keine Brennnessel finden und Hungers sterben werden, und wer immer alles ausrupft, ausgräbt, wegwirft, wird auch noch höllisch stolz sein, weil er – oder eher sie – endlich Ordnung geschaffen hat im Chaos, das die Alte hinterlassen hat. Das tut weh. Den Garten hätte ich gern weiterhin gepflegt. Wenn ich den David anschaue oder die Patricia, die würden den Garten zwar in Ruhe lassen und nichts ausrotten, aber sie würden Vernachlässigung mit Naturnähe verwechseln, und alles würde von Brombeerranken überwuchert, unglaublich schnell geht das. Gibt es wirklich nur die Wahl zwischen steriler Ordnung und Wildwuchs? Damit dein Garten so aussieht, als hättest du ihn ganz sich selbst überlassen, steckst du mehr Arbeit hinein als jede ordentliche Gärtnerin, hat Ditta einmal zu mir gesagt. Ganz verkehrt war das nicht. Das Schönste sind ja dann die Überraschungen, wenn plötzlich eine Knospe aufgeht, die du nicht kennst, an einer Pflanze, die du nicht gesät hast, ein Geschenk des Himmels im wahrsten Sinn des Wortes, von Vögeln gebracht oder vom Wind.
    Ein Geschenk des Himmels. Die Freundschaft mit dir, Ditta, war auch ein Geschenk des Himmels, ein unerwartetes. Mit über siebzig schließt man doch keine Freundschaften mehr. Jahrelang waren wir nebeneinander im Konzerthausgesessen, hatten einander zugenickt, wenn wir unsere Plätze einnahmen, hatten einander nach dem letzten Abonnementkonzert einen schönen Sommer gewünscht. Ich weiß nicht mehr, was an diesem Abend gespielt wurde. Merkwürdig, Pflanzennamen vergesse ich nie, deutsch und lateinisch, sosehr ich Musik liebe, weiß ich oft hinterher nicht einmal, von welchem Komponisten ein Stück war. Dabei brauche ich das Programm in der Hand, es frustriert mich, wenn ich nicht weiß, was ich da höre, aber schon auf dem Heimweg hängt nur mehr ein Rest Melodie im Ohr, den ich nicht nachsingen könnte, was wahrscheinlich ein Segen ist. Ich sitze also im Großen Konzerthaussaal, 24. Reihe links Platz 5 wie immer, bin ganz da – das ist das Seltsamste an meinem Umgang mit der Musik, so lange ich sie höre, bin ich ganz drin und ganz bei mir, ich glaube, so eine Gegenwart wie die in einer Symphonie oder in einem Konzert, die gibt es sonst gar nicht auf der Welt, weil doch alle andere Gegenwart von Vergangenheit und Zukunft eingequetscht wird – ja, und da kam diese Stelle, wo das Fagott sich immer wieder einmischte in das höfliche Gespräch der Instrumente, so hartnäckig und besserwisserisch, eine köstliche Karikatur, und ich musste lachen, je mehr ich es zu unterdrücken versuchte, umso heftiger schüttelte es mich, ringsum spürte ich schon strafende Blicke, da hast du mich mit dem Ellbogen geschubst und zu glucksen begonnen. An der Straßenbahnhaltestelle am Ring haben wir Adressen ausgetauscht.
    Ich würde ja anbieten, dass ich mich um Dittas Grab kümmere, aber wer weiß, wie lange ich das noch kann, mein Kreuz spielt sowieso verrückt, ich hoffe nur, dass ich mich gestern zu oft gebückt habe und es wieder vorbeigeht. Ich kann einfach nicht glauben, dass du in diesem Grab liegst, Ditta. Wir wollten doch zu den Zieseln fahren, du und ichund Alfred, am nächsten Sonntag. Du hast noch gefragt, ob ich mich überhaupt traue, zu Alfred ins Auto zu steigen, weil seine Fahrweise doch sehr viel jugendlicher ist als seine Reaktionen. Davor brauchst du dich jetzt nicht mehr zu fürchten. Du brauchst genau genommen vor gar nichts mehr Angst zu haben, und deine beiden Töchter werden nie mehr sagen müssen, wie schlecht ihnen wird bei dem Gedanken, dass du eine Straße überquerst, weil du dich zwischen die Autos stürzt wie in einen Fluss. Wie oft bin ich zwischen hupenden, schimpfenden Fahrern in deinem Kielwasser über die Straße gegangen. Immer hast du darauf hingewiesen, dass zwar der eine oder andere Bremsbelag möglicherweise etwas gelitten und arg gequietscht, aber noch nie Blech

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