Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
Vom Netzwerk:
gescheppert hätte, es also keine Auffahrunfälle gegeben habe. Was man tatsächlich als Wunder betrachten muss. Wie waren wir alle erleichtert, als dir die Augenärztin das Autofahren verboten hat, und wie warst du wütend! Nie wieder gehst du zu dieser gerontophoben Person, hast du gewettert, ihre Angst vorm Altwerden tobt sie in Abneigung gegen alte Menschen aus. Gerontophob. Dieses Wort habe ich auch nur von dir gehört, ich habe fast den Verdacht, du hast es selbst erfunden. Übrigens bist du drei Monate später wieder zu dieser Augenärztin gegangen. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du deinen Fiat David geschenkt, aber bei der nächsten Überprüfung bekam das Auto kein Pickerl mehr, was dich sehr amüsiert hat.
    Alfred sieht krank aus. Natürlich ist er traurig, ich bin auch traurig, obwohl es noch nicht wirklich bis zu mir durchgedrungen ist, dass Ditta gestorben ist, aber Alfreds Trauer ist eine andere. Keine Ahnung, woher ich das weiß, ich weiß es einfach, dabei kenne ich ihn gar nicht besonders gut. Was heißt kenne, ich habe ihn fünf-, sechsmal getroffen bei Ditta,wir haben Kaffee getrunken und uns angeregt unterhalten, worüber eigentlich? Interessant war es jedenfalls, und wir haben auch herzlich gelacht. Du hattest rosarote Backen, Ditta, und deine Augen haben gestrahlt. Wenn du einer Idee auf der Spur warst, wenn ein gemütlicher Tratsch sich zu einem Gespräch entwickelte, wenn dich ein vertrauter Mensch mit einem Gedanken überrascht hat, dann flammte dieses Strahlen auf wie ein Scheinwerfer auf einer dunklen Bühne. Genauso plötzlich konntest du es auch abdrehen mit einem kurzen Kopfschütteln, wenn man gleich darauf etwas sagte, das dir missfiel. O ja, Edith Karmann, du hattest die Fähigkeit, einem das Gefühl zu geben, man wäre gewachsen, klüger, interessanter, bedeutender geworden, hast einen aber auch, manchmal ohne Übergang, schrumpfen und kopfüber in schwarze Löcher stürzen lassen. Unheimlich, welche Macht du hattest. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die einfach verschwunden ist, in Nichts aufgelöst. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du sie vererbt hast an eine oder einen von deinen Nachkommen. Diese Macht war so real, so greifbar, auch wenn ich immer schon den Verdacht hatte, dass du sie von anderen bezogen hast. Du warst groß, weil wir dich für groß hielten und groß brauchten. Aber nicht, weil du die anderen, uns andere, klein brauchtest, das war es nicht. Der Mantel, den du trugst, fiel schwer und fest von deinen Schultern, hättest du ihn abgelegt, wäre der Stoff zerfallen wie von Alter und Motten zerfressen. Genau, das ist es, es geht gar nicht darum, ob er zu groß wäre. Auf deinen Schultern hat es ihn wirklich und wahrhaftig gegeben, da konnte er sogar wärmen und notfalls anderen Unterschlupf bieten, aber eben nur auf deinen Schultern. Eine Wasserpflanze auf dem Trockenen ist schließlich nicht mehr als ein wenig Schleim und bald darauf noch weniger Staub. Duwürdest mich schrecklich auslachen, wenn ich dir sagte, dass ich nie auch nur die Möglichkeit in Erwägung gezogen habe, du könntest sterben, und noch dazu vor mir. Ich würde mich nicht wundern, wenn du plötzlich hereinkämst und »April, April!« riefst, obwohl doch schon Juni ist. Alfred sieht wirklich schlecht aus. Ich kann mich nicht erinnern, dass er Ticks hatte, aber er leckt sich ständig die Lippen, verzieht den Mund, räuspert sich, umkreist seine Nase mit dem Zeigefinger der rechten Hand, das passt gar nicht zu ihm. Und wie er auf seinem Stuhl herumrutscht. Hat er Hämorrhoiden? Ich muss ihm sagen, dass Sitzbäder mit Eichenrindentee Erleichterung bringen. Allerdings bin ich ganz und gar nicht sicher, dass ich mich das trauen würde. Genauso wenig, wie ich sicher bin, ob ich mich traue, ihn einzuladen. Er kommt mir so schrecklich einsam vor. Am Ende würde er eine Einladung missverstehen? Ich glaube, ich sage ihm, dass ich ihm die Betty Uprichard zeigen möchte, die du mir geschenkt hast und die zum ersten Mal blüht. Weil ich sie dir ja nicht zeigen kann. Vielleicht freut er sich sogar.

Hanka räkelte sich, sprang auf und verkündete mit Blick auf ihre Armbanduhr, dass sie in zwanzig Minuten Sperrstunde hätten und sie abgeholt würde. »Zu Deutschkurs« , fügte sie mit Blick auf Alban hinzu, »du weißt, Deutschkurs sehr wichtig.« Er solle bitte schön hineingehen und fragen, ob sie noch irgendwelche Wünsche hätten, dann würden sie vielleicht mit Glück gehen, bevor das

Weitere Kostenlose Bücher