Großstadt-Dschungel
hasse das „Orgasm“. Ich hasse Boston, und ich hasse Natalie. Wo ist Natalie?
Warte mal.
Ist das der, an den ich denke?
Jonathan Gradinger?
Der fesche Jonathan Gradinger?
Der fesche Jonathan Gradinger, der in Danbury aufgewachsen ist und bei der Schulaufführung an der High School Danny Zukoe in „Grease“ gespielt hat, als er schon ein fescher Senior und ich ein neugieriger Frischling war? Drei Abende hintereinander habe ich in der ersten Reihe gesessen, weil er so ein Fescher war. Ich hatte Jonathan Gradingers Bild aus der Eintrittskarte ausgeschnitten und an die Tür meines Schranks geklebt, direkt unter das Poster eines anderen berühmten Schauspielers. Meine Aufzeichnungen aus dem ersten Jahr waren übersät mit Kritzeleien wie Jackie Gradinger, Jacquelyn Gradinger, Fern Gradinger, Fern Jacquelyn Gradinger oder Fern Jacquelyn Norris Gradinger. Ich kannte Johns Stundenplan auswendig und lief zwischen der zweiten und der dritten Stunde ganz zufällig im vierten Stock hinter ihm her, gerade als er auf dem Weg von Chemie zu Mathe war. Gott sei Dank war er damals viel zu cool, um zu merken, dass so ein verrückter Groupie ihm nachschlich.
Es wird heiß hier. Mich überkommt eine Hitzewallung nach der anderen. Grease-Lieder spuken mir durch den Kopf. Ich nippe an meinem „Sex on the Beach“ und denke an Glühwürmchen.
Von hinten könnte er es sein. Er trägt ein T-Shirt, das gut und gern ein T-Shirt des feschen John Gradinger sein könnte.
Und diesen Hinterkopf würde ich immer und überall wieder erkennen.
Er müsste sich lediglich etwas nach links umdrehen … noch ein bisschen, bitte … ein ganz kleines bisschen … warum lenkt ihn denn jetzt diese Schnalle ab? Er geht weg. Halt! Halt!
Ich versuche es mit Telepathie.
Dreh dich um! Dreh dich jetzt sofort um, du fescher John Gradinger! Verlieb dich auf der Stelle unsterblich in mich!
Meine telepathischen Kräfte versagen. Ich muss zu drastischeren Maßnahmen übergehen. Ich lasse versehentlich mein Glas fallen. Besser, einen Drink verschwenden als eine Gelegenheit.
Klirr.
Er
ist
es. Der fesche Johnathan Gradinger unseres ersten Jahres an der Senior High School. Und er sieht mich an! Er sieht direkt mich an!
Sicher, stimmt schon. Jeder sieht mich an. Ich glaube, Rosinenauge hat mich gerade auf sechs runtergestuft.
„Bist du okay?“ fragt mich die vollbusige Keeperin.
„Bestens. Tut mir Leid. Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte.“ Ich weiß natürlich genau, wie das passieren konnte. Und ich weiß auch, dass es funktioniert hat, denn Jonathan Gradinger kommt zu mir rüber.
O mein Gott.
Er kommt.
Es wäre das erste Mal, dass wir miteinander sprechen.
Was soll ich einem Jonathan Gradinger bloß sagen?
Ich brauche einen Drink. Wo ist mein Drink?
Ach so, ja. Verflucht!
Tief einatmen. Beruhigen. An beruhigende Sachen denken. Heißes Bad mit nach Vanille duftenden Sprudelkapseln. Die zweistündige Massage, die ich von Iris gegen zwei Dollar in Münzen manchmal bekam („Guck doch bloß! So viel Silber!“). Eine Couch, mein Oberbett, das Rauschen des Fernsehers …
Hmm … ich werd plötzlich so … müde.
„Hallo.“ Eine sehr fesche Stimme unterbricht meine Träumereien. „Ich kenn dich doch. Bist du aus Danbury?“
Johnathan Gradinger spricht mit mir.
Johnathan Gradinger
spricht mit mir.
Johnathan Gradinger
spricht
mit mir.
Johnathan Gradinger spricht mit
mir
.
Das glaubt Wendy mir nie.
Nur die Ruhe. Ich schaff das schon.
„Nrallo xch ssaff sssese grrchet drus.“
„Bitte?“ hakt er nach, was eine vollkommen nachvollziehbare Entscheidung ist, da auch ich nicht verstanden habe, was ich gesagt habe oder sagen wollte.
„Hi!“ Eine Silbe auf einmal, kein Problem. „Ja.“ Na bitte. Ich hatte zwei Worte mit Jonathan Gradinger gewechselt. Jetzt hatte ich meinen Enkeln was zu erzählen.
„Warst du auf der Stapley High School?“ fragt er.
Noch mehr Fragen? Wahnsinn – er will sich mit mir
unterhalten
.
„Ja.“ Ich nicke. Ich tu’s. Ich rede mit ihm.
„Warst du in meiner Stufe?“ Er fährt sich mit der Hand durch sein wundervoll dichtes Haar – lichtes Haar, muss ich korrigieren. Was ist denn mit seinem wundervoll dichten Haar passiert?
„NeeichwarehereinpaarStufenunterdir.“ Wenn ich gar nicht nachdenke und die Wörter einfach in einem Rutsch ausspreche, dann schaffe ich es, glaube ich.
„Warte mal ’ne Sekunde“, bittet er und lächelt sein fesches Lächeln. „Ich erinnere mich an dich.
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