Großstadt-Dschungel
neun. Ich habe meinen riesigen Wecker (überdimensional, damit ich die Ziffern auch ohne meine Kontaktlinsen lesen kann) in der Hoffnung, dadurch pünktlich zu sein, neun Minuten vorgestellt.
„Ha-llo?“ sage ich.
„Fern!“ Mein Vater ist dran. „Liegst du noch im Bett?“
„Nein.“ Ich sage immer, dass ich wach bin, wenn ich noch schlafe. Ich weiß nicht, warum.
„Du verplemperst den schönen Tag.“
„Ich bin wach.“ Augen … schwer. Mund … lässt sich nicht öffnen.
„Gut. Was gibt’s Neues?“
Huch. „Hab ich vergessen.“
„Willst du vielleicht zurückrufen, wenn du wach bist?“
„Nein, ich weiß schon. Es gibt nichts Neues.“ In Ordnung. Ich setze mich hin. Ich bin wach. Ich werde dunkle Ringe unter den Augen haben, aber keine Schminke mehr, um sie zu kaschieren, so dass kein Mann sich mehr in mich verlieben wird, und das alles deinetwegen.
„Wenn es nichts Neues gibt, warum warst du dann zu beschäftigt, um uns zurückzurufen?“
Ops. Nicht dass ich sie absichtlich ignoriert hätte. Ich vergesse nur laufend, dass es sie gibt und dass ich sie anrufen sollte. „Ich hatte viel zu tun.“
„Arbeit ist gut. Was bearbeitest du denn gerade?“
„Ein Buch.“
„Ein Buch worüber?“
Hat er mich geweckt, um mehr über „Cowboy, Millionär und Dad“ zu erfahren? Woran liegt es eigentlich, dass er kein reicher Daddy ist? „Es ist ein Liebesroman, Dad. Die gleiche Geschichte wie immer.“
„Und wie geht die?“
„Boy meets Girl. Girl liebt Boy. Boy poppt Girl.“
„Das ist die Geschichte?“
Ich kann wirklich noch nicht ganz klar im Kopf sein, wenn ich das gerade wirklich meinem Vater erzählt habe. Warum ruft er so früh an? Auch diese Frage verkneife ich mir, eine weitere Lektion darüber fürchtend, wie der frühe Vogel den Wurm fängt. „Nein, das ist nicht die ganze Geschichte. Boy entschuldigt sich, die beiden heiraten und leben glücklich bis an ihr Ende.“
„Das ist fein, Liebes. Aber, wie heißt es doch so schön: Arbeit ist nur das halbe Vergnügen. Was ist mit dir? Gibt es einen Mann in deinem Leben? Triffst du dich noch mit Jeffery?“
„Nein, Dad. Er poppt grad Frauen in Thailand.“ Das sage ich nicht in echt. Ich will keine Schuld an seinem Herzinfarkt haben. Er glaubt, dass ich immer noch Jungfrau bin. „Er heißt Jeremy. Und nein, ich lote das Spielfeld derzeit neu aus.“
„Nur keine Eile, Liebes, nur keine Eile.“
Die meisten Eltern würden einen mit vierundzwanzig langsam antreiben, über die Ehe nachzudenken, oder dir wenigstens erzählen, dass es Zeit wird, einen Freund zu finden – nicht so mein Dad. Er denkt immer noch, ich sei fünfzehn. Von jeder Geschäftsreise bringt er mir nach wie vor diese „Willkommen in (hier Namen der Stadt einfügen)“-T-Shirts in Kindergröße mit. Janie hingegen erinnert mich konstant daran, dass sie eines Tages wirklich Grandma genannt werden möchte. Sollte ich jemals Kinder bekommen, könnte ich eventuell darauf bestehen, dass sie sie Janie nennen. Nur um sie zu ärgern.
„Was gibt’s bei dir Neues, Dad?“
„Ich bin jetzt in einer anderen Jogging-Gruppe.“
„Gut. Wie läuft’s auf der Arbeit?“
„Gut. Ich arbeite nur noch vier Tage die Woche.“
„Warum das?“
„Ich will etwas mehr Zeit für mich haben. Das Leben ist keine Kostümprobe, weißt du. Ich möchte den Moment genießen. Ich kann nicht all die Zeit mit Arbeit verschwenden.“
Definitiv Bevs Einfluss. Ich meine sogar mich zu erinnern, genau diesen Satz von ihr gehört zu haben: „Das Leben ist keine Kostümprobe“, gefolgt von „Man lebt nur einmal“. Mein Dad war ein echter Workaholic, vor allem nach der Scheidung. Seit Bev ihn in die Therapie bekommen hat, wurde er mehr und mehr der Wie-fühlst-du-dich-damit? und Hör-mir-doch-zu!-Typ.
Ich höre Bev im Hintergrund. „Tim, ist das Fern? Gibst du sie mir mal?“
„Bev will dir Hallo sagen. Mach’s gut, Liebes. Bye.“ Er gibt den Hörer weiter.
Es ist viel zu früh, um mit Bev zu sprechen. Nicht dass ich sie nicht mag. Im Gegenteil. Wir haben nur nicht besonders viel gemein. Bev ist fanatisch; sie ist süchtig nach Talkshows. Um genau zu sein: nach denen von Oprah Winfrey. Und anstatt wie jede andere moderne Frau des 21. Jahrhunderts zu arbeiten, ist ihre Teilzeitbeschäftigung als Reiseverkehrskauffrau ein Euphemismus für „Ich plane meinen Urlaub selbst“. Sofern sie nicht auf Reisen ist, verbringt sie ihre Zeit damit, Oprah zu sehen, macht die
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