Großstadt-Dschungel
drin wird die Schwarze-Stiefel-Frau vergraben sein.“
Sie seufzt. „Gut. Wie du meinst. Hauptsache, ich muss nicht mehr nachdenken. Mein Kopf tut total weh.“
Ich manövriere uns Richtung Macy’s. An Kosmetik- und Parfümständen fühlt sich jede Frau sofort besser, oder?
Ich pinsele silberfarbenen Nagellack auf meinen linken Daumen. Hübsch. Oh, was ist das? Riecht gut. Ich sprühe ein bisschen davon auf die Innenseite meines Handgelenks. Janie hat mir mal erzählt, dass Frauen sich das Parfüm an die Innenseite ihres Handgelenkes sprühen, weil die Männer ihnen früher die Hand geküsst haben. Ich habe das so lange geglaubt, bis ich die Sache mit dem Puls und der besseren Duftentwicklung gelesen habe. Da drüben entdecke ich einen unglaublich scharfen roten Nagellack. Rot wie Blut. Ich probiere ihn an meiner rechten Hand aus. Und was ist das für ein Duft? Auch gut.
Ooohh. Die neue Winterkollektion! Witzig, das sind dieselben Farben wie im letzten Jahr. Drei Frauen in der diesjährigen brandneuen Winterkollektion lächeln mich von ihrem
Jolie
-Stand aus an. Da schießt mir eine brillante Idee durch den Kopf: Sam lässt sich schminken und zahlt dafür keinen Cent. Jeder Mensch weiß, dass eine Rundumpflege umsonst ist, die eine Grundierung, Rouge, das Augen-Makeup, einfach alles außer einer Cellulite-Behandlung und einer neuen Frisur einschließt. Das stillschweigende Abkommen besteht natürlich darin, dass man hinterher das eine oder andere Produkt kauft, aber es muss nicht viel sein (was auch von Vorteil ist, weil der Preis der einzelnen Artikel in die Nähe einer Monatsmiete rückt).
So oder so, man sollte wenigstens
etwas
kaufen, um eine gewisse Höflichkeit an den Tag zu legen. Nur auf Lippenstift sollte man verzichten; das wäre echte Verschwendung, denn was auch immer man an Produkten ersteht, man erhält sowieso eine Geschenktüte mit Pröbchen dazu, etwa in der Art, wie man sie früher auch nach Kindergeburtstagen mitbekommen hat. Der einzige Unterschied ist, dass heutzutage Lippenstifte in dem Päckchen sind, wenn auch nie in der richtigen Farbe und ganz gewiss auch nicht aus der brandneuen Winterkollektion.
Das einzige Problem mit den Behandlungen sind die Kosmetikerinnen, die sie einem verabreichen. Sie sind zum Fürchten. Entweder es handelt sich um elegante Frauen mit riesigen Perlenohrringen und im Barbie-Ausgehlook geschminkten Gesichtern, aufgedonnerte Drag Queens, deren Gesichter ebenfalls an die Barbie der Nacht erinnern, oder um Frauen mittleren Alters, die sich ihre Brauen nachgezogen haben und einen mit zu dick aufgetragenem Lippenstift anlächeln.
Für Sam suche ich die Ausgeh-Barbie Nummer eins mit großen Metallohrringen aus.
„Hi“, begrüße ich sie lächelnd. „Meine Freundin sucht nach einem neuen Make-up. Hätten Sie wohl Zeit für eine Beratung?“ Beratung ist die Umschreibung für eine Gratisbehandlung.
Ich schiebe meine willenlose Mitbewohnerin auf den Hocker. Die knackige Kosmetikerin erzählt ihr, dass sie wunderbare Haut habe, ein bisschen Abdeckcreme aber durchaus nicht schaden könne.
„Okay“, sagt Sam mit einem Hauch von Hoffnung in der Stimme. Ich kann mir genau vorstellen, was sich nach diesem Quasi-Kompliment in ihrem Kopf abspielt: Wenn ich wirklich so schöne Haut habe, dann will Marc sicher den Rest seines Lebens damit verbringen, mit den Fingern darüber zu streichen! Wenn ich aber diese Abdeckcreme nicht kaufe, dann wird es zweifellos eine andere Frau tun, und er verliebt sich in sie, und ich bleibe mit meiner perfekten Haut allein, die ganz so perfekt doch nicht ist, weil Ausgeh-Barbie meint, sie könnte ein bisschen kosmetische Unterstützung gebrauchen.
Oho! Der goldene Lidschatten sieht aber auch ziemlich geil aus. Ich nehme mir etwas auf den Finger und verteile es auf dem Lid.
„Hätten Sie lieber eine flüssige Grundierung oder ein Creme-Make-up?“ will Ausgeh-Barbie wissen.
Sam starrt sie an, als hätte sie koreanisch gesprochen. Hanna Ap Chagi, Ap Oligi, Moa Sogi?
Schönes Rouge. Ich verteile es auf meiner grünen Seite, meiner absolut bevorzugten Wange. Ich finde den Ausdruck toll,
grüne Seite
. Wer denkt sich so was aus? Warum nicht gelbe Seite?
Unbeeindruckt von Sams leerem Blick setzt sie ihre verbalen Attacken fort: „Ein Stift? Kompakt? Flüssig?“
Ich sehe in den Spiegel und stelle fest, dass ich aussehe wie ein vierjähriges Mädchen, das sich den Lippenstift der Mutter quer durchs Gesicht geschmiert hat. Wo ist der
Weitere Kostenlose Bücher