Großstadt-Dschungel
Verdacht hatte, dass sie ihn anrufen wollte. Ich weiß, wann sie ihn anrufen will. Zuerst streunt sie nervös durch die Gegend. Dann wird sie ganz ruhig. Etwa eine Minute später verschwindet sie unter einem Vorwand in ihrem Zimmer und schließt die Tür. Das erinnert mich an meine kleine Schwester Iris, wie sie früher in Windeln immer ins Bad gekrabbelt ist. Wenn mein Gefühl mir sagt, dass Sam jetzt anrufen wird, platze ich genau in dem Moment in ihr Zimmer, in dem sie den Hörer abnimmt, und überzeuge sie davon, wieder aufzulegen, indem ich ihr versichere, dass sie es mir später danken wird. Klappt bestens – es ging nur zwei Mal schief. Beide Male hat sie ihn angerufen, als ich geschlafen habe, was sie mir am nächsten Morgen unter Tränen gestanden hat. Beide Male hatte sie sich hinterher schlechter gefühlt.
3. Ich habe fünf weitere Boxen mit Papiertaschentüchern gekauft und mindestens fünfunddreißig Folgen von „Beautiful Bride“ mit meiner vom Liebeskummer verzehrten Freundin gesehen. „Besser, du eliminierst das bald mal aus deinem System“, sage ich ihr. Dieser Kitsch macht süchtig. Ich kann einfach nicht verstehen, wer solche Serien regelmäßig guckt. Sind Frauen so vom Heiratsgedanken besessen? Jede Sendung handelt von einer Braut, die sich um ihre Blumen, ihren Schleier und die Rüschen an ihrem Kleid Sorgen macht. Mein Brautkleid wird in jedem Fall viel edler als die in der Serie. Ich glaube, ich entscheide mich für einen Rundausschnitt, eine Prinzesstaille und einen ausgestellten Rock. Aber nicht diesen Schleifchenscheiß. Elegant ist wohl das richtige Wort. „Mach dir keine Gedanken“, höre ich mich sagen. „Auf jeden Pott passt ein Deckel.“ Ich fasse nicht, dass ich diesen Satz gesagt habe. Meine Güte, ich fange schon an, wie mein Vater zu reden.
Woche eins n.M. (nach Marc) scheint kein Ende zu finden.
Am Montag kommt Natalie frauensolidarisch vorbei. Ihr Cheerleader-Grinsen und ihre selbstgefälligen Anekdoten sind ein bisschen zu viel für uns. Sam entschuldigt sich mit Kopfschmerzen und geht ins Bett. An mir bleibt die Frauensolidarität hängen.
Dienstag putzt Sam die ganze Wohnung.
Am Mittwoch zappe ich zufällig in „Law and Order“ rein. „ … die Staatsanwälte, die die möglichen Täter zur Anklage bringen – hier kommt ihre Geschichte …“ Logan/Mr. Big findet einen männlichen Leichnam im Kofferraum eines verlassenen Autos, und Sam bekommt einen traurigen, nachdenklichen Schimmer in ihren Augen. Ich schalte den Fernseher ab. Sam putzt die Wohnung noch mal.
Donnerstag zerren Andrew und ich sie zur Nacht der halben Preise in Charlie’s Wings. Ich bin nicht gerade scharf darauf, in Gegenwart eines Mannes Hühnchenflügel zu essen, selbst wenn es Andrew ist, weil ich nämlich das Talent habe, mir die Sauce im ganzen Gesicht zu verteilen. Ich beobachte Andrew dabei, wie er den Flügel am äußersten Ende anfasst und sorgsam das Fleisch abknabbert, bis der Knochen ganz sauber abgegessen ist. Dann leckt er sich die restliche Sauce genussvoll von den Lippen. Wie kann jemand Hühnchenflügel nur mit so viel Stil und Sex-Appeal verzehren? Ich bin total zufrieden, so neben Andrew zu sitzen und seine Technik zu studieren, als, bumm!, Sam Marcs besten Freund zwei Tische weiter entdeckt. Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, ihr durch die verschlossene Klotür gut zuzureden.
Freitagmorgen wache ich zu den Klängen von Gloria Gaynors „I Will Survive“ auf, die durch die Wand wummern.
„Hallo?“
„Guten Morgen!“ sagt Sam und reißt meine Tür auf.
„Morgen“, nuschel ich.
„Guten, guten, guten Morgen!“ singt sie bester Laune. „Zum ersten Mal in dieser Woche wollte ich wirklich aufstehen.“
„Schön.“
„Ich habe ein neues Selbst.“
Ich überlege, ob diese Aussage eine positive oder eine negative Antwort verlangt.
Sie lässt sich auf mein Bett fallen. „Ich werde in Zukunft weniger auf einen Typ fixiert sein, ich werde Freundinnen haben, und ich werde einen neuen Mann finden. Und von jetzt an will ich Samantha genannt werden.“
„Schön für dich“, beglückwünsche ich sie verschlafen. Mit meinen drei Wochen als Single erlaubt mir die Innenperspektive festzustellen, dass sie noch nicht reif für eine persönliche Generalüberholung ist, aber ich entscheide mich, es bei dem Gedanken zu belassen.
„Ich verschwende keine kostbare Zeit mehr mit hoffnungslosen Fällen. Marc ist ein Kind. Er will Raum? Ich gebe ihm Raum. Er wird
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