Großstadtvampire (German Edition)
bescheuert, dachte sie sich. Typisch! Läufst gegen den einzigen Baum weit und breit. Kannst froh sein, dass du dir nicht das Genick gebrochen hast. Oh Mann! Unsicher versuchte sie wieder aufzustehen. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Oberkörper und erst jetzt bemerkte sie, dass auch ihre Schulter etwas abbekommen hatte. Toll, ärgerte sie sich, während sie vorsichtig ihre linke Schulter abtastete. Das wird sicher ein blauer Fleck. Und das alles weil du nicht nach Hause gehen wolltest. Hat sich echt gelohnt! Langsam beruhigte sich Jasmin wieder und bürstete sich den Dreck von Hose und Jacke. Dann hob sie die Handtasche auf und wollte ihren Weg fortsetzen. Als sie sich umdrehte, stand plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihr. Jasmin war so erschrocken, dass sie nur noch einen erstickten Schrei hervorbrachte.
Träge erhob sich die Sonne über den Dächern Berlins. Ein Wagen der Müllabfuhr bahnte sich langsam seinen Weg durch die Straße und orange gekleidete Müllmänner zogen lärmend Abfallcontainer aus einem Hinterhof. Ein türkischer Obst- und Gemüsehändler baute sein Sortiment vor dem Laden auf, an dem zwei kleine Kinder mit Schulranzen vorbei liefen. Gelangweilt stand ein Zeitungsverkäufer vor einer U-Bahnstation und beachtete die Fahrgäste kaum, die an ihm vorbeihuschten. Ab und an blieb jemand stehen, griff nach einer Zeitung und drückte dem Verkäufer schweigend ein paar Münzen in die Hand. Dann eilte der Passant die Treppen hinunter, um die einfahrende U-Bahn noch zu erwischen. Hastig drängten sich die Fahrgäste in die Waggons, in der Hoffnung noch einen Sitzplatz zu ergattern. Doch um diese Zeit war es fast unmöglich und man musste schon das Glück haben, genau dort positioniert zu sein, wo an der nächsten Station jemand seinen Sitzplatz verließ, um auszusteigen. Die meisten Fahrgäste vertieften sich stehend in ihre Zeitung. Trotz des starken Ruckelns versuchte eine junge Frau tapfer, sitzend ihr Make-up aufzutragen. Der Zug fuhr in den nächsten Bahnhof ein und zielstrebig eilten die Menschen aus dem Untergrund auf die Straße und in Richtung ihrer Arbeitsstätten.
Am Eingang eines Krankenhauses standen rauchend die Ärzte und Schwestern der Nachtschicht und grüßten ihre Kollegen, die ins Gebäude hasteten, um sie abzulösen.
Das Hauptgebäude dieses Krankenhauses ragte als klobiges grau-braunes Hochhaus aus der Stadtlandschaft hervor. Was zu sozialistischen Zeiten als Errungenschaft der modernen Architektur gefeiert wurde, wirkte heute zwischen den schön sanierten bürgerlichen Wohnhäusern des 19. Jahrhunderts hässlich und störend. Aber mittlerweile hatte man sich an das Gebäude gewöhnt, ja man sah es sogar als eine Art Wahrzeichen an und pries die zentrale Lage. Dabei blieb die atemberaubende Aussicht aus den oberen Krankenzimmern nie unerwähnt, auch wenn natürlich niemand freiwillig dort untergebracht sein wollte.
Über all dies machte sich Johannes längst keine Gedanken mehr. So stand er also etwas müde und übernächtigt am Anfang seiner zehn Stunden Schicht in einem der hinteren Räume im Erdgeschoß und war gerade dabei, einer Patientin eine Kanüle in die Vene zu stechen.
"Ich zähle bis drei und dann piekse ich Sie", erklärte Johannes. Er hatte dabei sein allervertrauenswürdigstes Gesicht aufgesetzt, dem nicht mal die misstrauischste Schwiegermutter sich hätte widersetzen können. Überhaupt hatte sein Äußeres etwas ungemein Gepflegtes und Schönes an sich, auch wenn er etwas zu bleich wirkte. Nur sein kurzes dunkelblondes Haar widersetzte sich diesem Eindruck, indem es sich nicht zähmen ließ und sich wild und leicht zerzaust in alle Richtungen ausdehnte.
"Sie werden sehen, Sie werden gar nichts spüren."
Irmgard hielt eine Hand schützend vors Gesicht und blinzelte ängstlich zwischen den Fingern hervor. Seit ihrer Pensionierung als Lehrerin hatte sie sich vorgenommen, mindestens ein Mal im Monat Blut zu spenden, um etwas Gutes für die Allgemeinheit zu tun. Diese Form des Gemeinschaftsdienstes war ihr damals als die Einfachste erschienen. Außerdem hatte sie gehofft, auf diese Weise endlich ihre lebenslange Angst vor Spritzen ablegen zu können. Doch diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Jedes Mal, wenn sie zur Blutspende in das Krankenhaus kam, hatte sie einen Horror vor der Nadel. Aber da sie ein Mensch mit Prinzipien war, hielt sie ihren Vorsatz durch und kam nun schon seit drei Jahren regelmäßig jeden Monat. Darauf war sie
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