Großstadtvampire (German Edition)
stolz.
Dass sie so lange durchgehalten hatte, hatte sicherlich auch etwas mit Johannes zu tun. Dieser attraktive junge Mann mit den klaren blauen Augen und dem fein geschnittenen Gesicht, dem etwas Aristokratisches anhaftete, verstand es jedes Mal, ihre Angst zu zerstreuen und sie gefühlvoll und angenehm durch die Prozedur zu leiten. So machte sie, was man in ihrem Alter mit einem netten jungen Mann eben macht. Sie schwärmte für ihn und es tat ihr gut. Sie freute sich jedes Mal auf den Termin und konnte es trotz ihrer Angst vor Nadeln kaum erwarten, von Johannes gepiekst zu werden. Bei diesem Gedanken errötete sie hinter ihrer vorgehaltenen Hand.
"Ich fange jetzt an", sagte Johannes routiniert mit seiner beruhigenden Stimme und strich dabei ihren Unterarm mit einem Alkoholtupfer ab. "Eins." Irmgard schloss die Augen und versuchte, an etwas Anderes zu denken. "Zwei. Oje!" unterbrach Johannes seine Aufzählung. Irmgard riss die Augen auf und starrt ihn erschrocken an.
"Was ist passiert?"
Johannes lächelte ihr beruhigend zu. "Ach nichts. Ich habe nur gelogen." Irmgard verstand nicht. "Nun ja", fuhr Johannes fort. "Ich habe doch gesagt, ich würde bei drei zustechen. Stattdessen habe ich schon bei zwei zugestochen." Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ihren Unterarm. Irmgard folgte seinem Blick, und siehe da, die Kanüle steckte bereits. Für einen Moment starrte sie ungläubig auf die Nadel, dann blickte sie Johannes erstaunt ins Gesicht, der sie anlächelte.
"Sie Schelm, Sie!", tadelte Irmgard ihn erleichtert.
"So hat es wenigstens nicht wehgetan", verteidigte sich Johannes. "Jetzt wird es noch ein bisschen ziehen und dann können Sie sich entspannt zurücklehnen", redete er in lockerem Plauderton weiter, während er die Kanüle mit einem Pflaster fixierte und den Schlauch an der Kanüle befestigte. "So, fertig." Vorsichtig öffnete Johannes den Verschluss und das Blut aus Irmgards Vene suchte sich seinen Weg zum Beutel, der am Ende des Schlauchs auf einer elektrischen Schaukel lag, die die Gerinnung des Blutes verhindern sollte.
Johannes kontrollierte noch einmal den Beutel auf der Schaukel, während Irmgard sich zufrieden auf die Liege sinken ließ. Dann schob Johannes den Nachttisch, auf dem die Schaukel stand, ein wenig von der Wand. Vom Beutel aus wand sich das Blut durch einen weiteren Schlauch in den Nachttisch und dort, von Irmgard unbemerkt in einen zweiten Beutel. Irmgard spendete ungewollt nicht nur einmal, sondern gleich die doppelte Menge Blut. Aber davon wusste sie nichts und Johannes würde sicherstellen, dass sie es auch nie erfahren würde. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass auch der zweite Beutel versorgt war, schob er den Nachttisch wieder zurück und lächelte Irmgard aufmunternd zu.
"Ich komme in einer halben Stunde wieder vorbei und hänge Sie ab." "Kriege ich dann meine Belohnung?", wollte Irmgard wissen.
"Aber natürlich. Ich bringe Ihnen dann gleich Ihr Glas Orangensaft mit."
"Sie müssen wissen, der Orangensaft ist der einzige Grund, weshalb ich jeden Monat komme", schob Irmgard kokett hinterher.
"Das weiß ich doch", zwinkerte ihr Johannes zu und schaute sie dabei verschwörerisch an. "Jetzt muss ich aber weiter. Laufen Sie mir bloß nicht davon."
"Da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen machen. Ich warte auf Sie" "Gut", sagte Johannes noch und erhob sich. "Bis gleich", und schon war er aus der Tür verschwunden.
Im Gang hatte man an den Wänden Stühle als provisorischen Warteraum aufgebaut. Vier ältere Damen und ein stämmiger Herr saßen schweigend da und blickten Johannes erwartungsvoll an. Er kannte die Herrschaften bereits, da sie allesamt in schöner Regelmäßigkeit hier erschienen und wunderte sich nur darüber, dass das Blutspenden für die Wartenden offensichtlich ein angenehmer Zeitvertreib zu sein schien. Aber ihm sollte es egal sein. Hauptsache die Quelle versiegte nicht. Johannes setzte ein gewinnbringendes Lächeln auf und flötete ein "Wer ist der Nächste?" in den Gang.
An der Straße am Volkspark Friedrichshain warteten Einsatzfahrzeuge der Polizei. Während einige Polizisten Absperrgitter aufbauten, versuchten andere, die stetig wachsende Zahl von neugierigen Nachbarn, Schaulustigen und Journalisten zurückzuhalten. Da rauschte ein alter 3er BMW in grün-metallic-farbener Lackierung heran und stellte sich in zweiter Reihe neben ein Polizeifahrzeug. Kaum erstarb der Motor des BMW, da sprang schon ein leicht übergewichtiger Polizist
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