Grote, P
einverstanden war. »Aber in der Praxis unterläuft die Regierung die neuen Regeln. Wozu ist man schließlich an der Regierung, wenn man nichts davon hat? Uns stehen jährlich 42 Millionen Euro zur Verfügung. Am wichtigsten wäre die Neuanlage der Weinberge, denn die alten sind so runtergekommen, dass wir sie roden müssen. Wir hingegen verwenden das Geld für Versicherungen – gegen Hagel, gegen Schädlinge und so weiter. Da freuen sich die Versicherungen. Die Subventionen dienen auch zur Herstellung von konzentriertem Traubenmost, ein zukünftiges Exportprodukt, mit dem im südlichen Europa die Weine verbessert werden. Da freuen sich die Großkellereien. Ja, ich weiß, was Sie jetzt denken, ich sehe es Ihnen an . . .«
Martin hatte unwillkürlich die Stirn gerunzelt, er kannte die Methode der Chaptalisierung. Seit Napoleons Innenminister Chaptal wurde sogar in Bordeaux Zucker in den Most gegeben, um bei der Gärung einen höheren Alkoholgehalt zu erzielen. Neuerdings wurde Zucker durch geschmacksneutrales Mostkonzentrat ersetzt.
»Da zeigt sich der ganze Irrsinn der europäischen Weinbaupolitik«, seufzte Sofia. »Eigentlich unverkäuflicher Wein wird zu Most verarbeitet, um unverkäuflichen Wein zu verkaufen.«
»Die Menschheit ruiniert ihre Ressourcen«, murmelte Martin vor sich hin, und Sofia stimmte ihm zu.
»Wie beim Klima. Daran denkt bei uns leider niemand. Genauso wenig wie an Umweltschutz. Wenn Sie allerdings einem Großen auf die Füße treten, legt eine Behörde Ihren Betrieb still, weil Sie angeblich gegen eine E U-Norm verstoßen!Die finden immer was, wie das Finanzamt, und zack, ist Ihr Betreib pleite und wird aufgekauft ... außer Sie zahlen . . .«
In diesem Augenblick öffnete sich die gepolsterte Bürotür. Eine gut aussehende Sekretärin mit auffälligem Dekolleté trat ein, grüßte kurz und sagte etwas auf Rumänisch. Martin verstand nichts, begriff noch nicht einmal den Sinn der Worte, ihren Ton hingegen empfand er als barsch und unfreundlich. Sofia antwortete in der gleichen ruppigen Weise. Sie wies auf ihn und wurde ungehalten, also hatte die Störung etwas mit ihm zu tun. Die Sekretärin ließ sich nicht beirren, insistierte weiter, bis Sofia verärgert aufstand und sich bei Martin für einen Moment entschuldigte. Ihr Chef wünsche sie zu sehen – sofort,
tout de suite,
wie sie in ihrem kehligen Französisch sagte.
Sie stand auf, strich unter dem herablassenden Blick der Sekretärin ihren Hosenanzug glatt, lächelte Martin entschuldigend an und folgte der Frau, die ihn abschätzig musterte, bevor sie leise die Tür schloss.
Martin sah, dass die gläserne Kaffeekanne fast leer war, er goss sich den kalten Rest ein, mehr Satz als Kaffee, nahm einen Schluck und blätterte in seinen Notizen. Er war dankbar für die Pause. So konnte er seine Aufzeichnungen durchsehen und prüfen, ob die wichtigsten Fragen beantwortet waren. Aber die Erinnerung an die Szene von eben lenkte ihn ab, und er starrte die unansehnlichen Wände an, betrachtete den billigen Kalender neben dem Fenster zum Lichtschacht und hatte den Eindruck, dass die abgeschabten Büromöbel, an denen sich das Furnier löste, aus den Zeiten der kommunistischen Diktatur stammten. Ein neuer Anstrich hätte dem Büro gutgetan, man hätte Kabel unter Putz legen können ... Auf Sofias Schreibtisch türmte sich Arbeit, zumindest vermittelten die Papierstapel auf beiden Seiten ihres Laptops diesen Eindruck – oder sie sollten es tun. Es war kaum möglich, hinter die Dinge zu schauen.
Die ersten Tage in Bukarest hatte er damit verbracht, Kontakte aufzubauen, die im weitesten Sinne mit Wirtschaft, Wein und Investitionen zu tun hatten. Von offizieller Seite war das Misstrauen groß, und ihm wurde wenig Interesse entgegengebracht. Anders war es bei den Weingütern. Hier spürte er ein gewisses Entgegenkommen, eine Art von Neugier und etwas, das er als innere Verbundenheit mit Gleichgesinnten bezeichnen würde. Alles bewegte sich zwar noch auf der Ebene einer vorsichtigen Kontaktaufnahme, aber einige seiner Gesprächspartner schienen international Erfahrungen gesammelt zu haben.
Ganz anders ging es auf der wirtschaftlichen und politischen Seite zu, auch wenn es gar nicht um Politik ging, sondern um Technik und Finanzen. Oder kam er zu dieser irrigen Annahme, weil er sich darüber Gedanken machte, ob sein Gegenüber ihm die Rolle abnahm, die er spielte? Sah man ihm den Spion an, und wieso hatte er das Gefühl, einer zu sein? Er
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