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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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anschwoll. Und selbst als er mit Charlotte kürzlich im Osten Berlins gewesen war, hatte er nicht so viele Trabants gesehen wie hier. Martin fragte sich, wann diese Leute in den hypermodernen oder schrottreifen Fahrzeugen aus diesem Gemenge entkommen und ihre Ziele erreichen würden. Nur seltsam, dass all diese Autos verschwunden waren, wenn er in aller Frühe vom Hotel aus zum nahen Park lief, um seine Runden zu drehen. Ihm grauste vor dem Gedanken, sich in drei Tagen selbst mit einem Leihwagen in dieses Chaos stürzen zu müssen.
    Die Zugänge zur Metro unter dem Platz dienten gleichzeitig als Unterführung, und Martin stolperte über Betonbrocken ins Halbdunkel einer von Vorschlaghämmern und Staub erfüllten Luft. Zwischen Schutthaufen und aus den Wänden ragenden Muniereisen fühlte er sich in die Bunker des bretonischen Atlantikwalls versetzt. Die Menschen strömten hektisch herein, als müssten sie sich vor der Klimakatastrophe in Sicherheit bringen, und flossen als breiter Schwall weiter nach unten in die Metroschächte ab. Martin bewegte sich mehr wie in der Endzeitstimmung billiger Actionfilme als durch die Phase des rumänischen Aufbruchs in die strahlende Zukunft des vereinten Europa. Erleichtert kehrte er über eine halb zerstörte Treppe ins Tageslicht zurück, nur um weiter am Strom der Autos entlangzuhasten. Da stieß er mit dem Fuß gegen ein aus dem Boden ragendes Rohr und hielt sich gerade noch an einem Passanten fest, der entsetzt zurückwich. Er überquerte die Straße, betrat eine Wechselstube, tauschte zweihundert Euro gegen siebenhundertdreißig Lei ein, die er allerdings erst ausgehändigt bekam, nachdem er seinen Ausweis vorgelegt hatte. Irgendwo hatte er gehört, dass Wechselstuben zur Kette der Geldwaschanlagen gehörten. Wie funktionierte das, wenn man seinen Ausweis vorlegen musste?
    Die Stände für gebrauchte Bücher vor dem Universitätsgebäudeerinnerten ihn an die Bücherkästen auf den Mauern am Ufer der Seine, aber hier, in diesem Chaos aus Menschen, Autos, Baustellen, Krach, Staub und Gedränge, war nichts beschaulich und es fehlte jeder Charme. Außerdem machten die gelangweilten Verkäufer nicht den Eindruck, als wären sie an Einnahmen interessiert. Normalerweise nahm sich Martin für Bücher immer Zeit, oft fand er beim Stöbern etwas, das ihm gefiel oder das Charlotte erfreut hätte, aber auf Rumänisch? Er hatte geglaubt, sich leicht verständigen zu können, aber sein nahezu perfektes Französisch, gepaart mit Spanisch- und Italienischkenntnissen, reichte nicht einmal, um nach dem Weg zu fragen. Englisch hingegen sprachen viele.
    In einer mit einem rot-weißen Plastikband abgesperrten Seitenstraße des Bulevardul Regina Elisabeta hatte Martin ein Café gefunden, wo er, unbehelligt vom Verkehr, draußen sitzen konnte und das er als eine Art Büro benutzte, wenn es ihm im Hotel beim Schreiben seines täglichen Berichts zu eng wurde. Nebenan betrieb der uneheliche Sohn eines Kölners und einer Rumänin einen Laden für Mobiltelefone. Der junge Mann sprach gut Deutsch und hatte ihn gleich in die Geheimnisse der rumänischen Handymanie eingeführt.
    »Wir legen die Geräte auch beim Schlafen nicht ab. Oder setz Kopfhörer auf, dann bist du jederzeit erreichbar und hast die Hände frei.« Heute war der Laden geschlossen, der Besitzer war nach Köln gefahren, um neue Ware zu holen. Wieso kaufte er sie in Deutschland, wo Nokia hier produzierte?
    Der Café crème war gut, viel besser als im Reiseführer beschrieben, der ausdrücklich vor der schlechten Qualität des Kaffees gewarnt hatte. Diese Warnung war unsinnig, eine Lüge, man hätte besser vor der ansteckenden Unfreundlichkeit der Portiers, Gastwirte, Kellner und Verkäuferinnen warnen sollen, und die Bedienung des Cafés musterte ihn auch am dritten Tag noch so, als hätte er ihr die Wohnung ausgeräumt.
    Während er dem Jungen nachsah, der ihn angebettelt hatte und jetzt, die Straße entlangtorkelnd, aus einer Plastiktüte Schusterleim inhalierte, kam ihm das Tonband wieder in den Sinn, wie es seine Fragen festhielt, in elektromagnetische Impulse umwandelte und nach irgendwelchen Kategorien sortierte. Was hatte Sofia eigentlich Verfängliches gesagt? Hatte er etwas überhört, etwas, das ihr gefährlich werden könnte, so gefährlich, dass ihr Vorgesetzter das Gespräch hatte unterbrechen müssen? Hatte er Fragen gestellt, die er sich besser von anderen hätte beantworten lassen? War eines jener Reizwörter gefallen, bei

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