Grote, P
tat nichts Verbotenes. Trotzdem glaubte er, dass man ihm seine Unsicherheit ansah, dass man ihn deshalb geradezu belauerte. Ihm schien es, als würde vieles vorsichtshalber nicht aus- oder angesprochen. Er hatte sich sogar auf der Straße umgedreht, weil er meinte, verfolgt zu werden. Ob sie sich im Ministerium die Mühe machten, ihn zu überprüfen? Unter der auf seiner Visitenkarte angegebenen Telefonnummer meldete sich sogar eine Dame, die Deutsch sprach (er hatte es ausprobiert, um sicherzugehen), dafür hatten Coulange und seine SISA gesorgt, sogar eine Homepage hatten sie ihm gebastelt.
In diesem undurchschaubaren Geflecht von Beziehungen, Abhängigkeiten und hintergründigen Interessen war Sofia ein Lichtblick, die erste Person, bei der er glaubte, dass sie ihm bereitwillig Auskunft gab. Ihr gegenüber musste er sich nicht für jede Frage entschuldigen und sie begründen. Seinen Fragen wurden nicht mit Gegenfragen gekontert. Sofia erzählte von sich aus, sie zeigte ein so ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis,dass er sich sogar vorsichtig zurückhielt. Aber Sofia war auch verbittert, und das machte das Gespräch mit ihr nicht einfach.
»Ihr in Deutschland«, hatte sie immer wieder gesagt oder: »Bei euch in Deutschland . . .«
Dann folgte, was dort alles anders und besser sein sollte und was ihrer Ansicht nach hervorragend funktionierte. Zwischendurch beklagte sie den Schlendrian im Ministerium und das mangelnde Interesse an der Arbeit. Sie erging sich in Andeutungen über Korruption und den Ausverkauf nationalen Eigentums, ohne jedoch konkret zu werden. Sie bemängelte die fehlende Kompetenz der Kollegen und ihren Widerstand gegen jede Modernisierung, von mangelnder Solidarität ganz zu schweigen.
»Die haben sie uns im Sozialismus aberzogen, so absurd das klingt. Das war die beste Vorbereitung für die Übergabe unseres Landes an den Kapitalismus und die Konzerne!«
Ihre politischen Geständnisse waren Martin unangenehm, er fühlte sich in eine Art Mitwisserschaft hineingezogen. Ob es der Wahrheit entsprach oder eine politisch gefärbte Interpretation war, konnte er nicht beurteilen. Sofia machte einen ehrlichen Eindruck, ehrlich verzweifelt, ehrlich verbissen und verzweifelt bemüht ...
Die Türklinke bewegte sich langsam, zaghaft wurde die Tür aufgeschoben, unschlüssig stand Sofia im Türrahmen, blass, viel blasser als vorher, die Falten hatten sich tiefer eingegraben, der Mund war verkniffen, als würde sie die Zähne zusammenbeißen. Martin sah ihr an, wie sie sich bemühte, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. Die Frau schien vor Wut fast zu explodieren. Sofia lächelte.
»Mein Chef, Herr Tudor Dragos, möchte Sie unbedingt kennenlernen«, sagte sie, nachdem sie sich geräuspert hatte. »Er ist an deutschen Experten wie Ihnen äußerst interessiert. Er sieht die Zusammenarbeit innerhalb der Länder der Europäischen Union als sehr wichtig für die Entwicklungdes rumänischen Weinbaus an. Ihre Investitionen sind uns immer willkommen«, fügte sie wie auswendig gelernt hinzu. Dann setzte sie sich. »Wir beenden dieses Gespräch jetzt – leider, ich bin kurzfristig für andere wichtigere Aufgaben abgezogen worden . . .« Und während sie nichtssagende Entschuldigungsfloskeln murmelte, griff sie nach einem Blatt Papier.
»Wir unterhalten uns ein andermal weiter«, schrieb sie und sah sich um, ». .. wo die Wände keine Ohren haben.« Dann folgten eine Adresse und eine Uhrzeit. Zustimmung heischend schaute sie Martin an, bis er nickte, und sie bedeutete ihm, den Zettel einzustecken.
4
Aufatmend trat Martin vor die Tür des Ministeriums. Er war heilfroh, das Gebäude hinter sich zu lassen. Er durfte sich um Himmels willen nicht in Auseinandersetzungen zwischen Sofia und ihrem Chef hineinziehen lassen. Was Charlotte ihm von ihrer Tätigkeit als Staatssekretärin in Paris berichtet hatte, ließ Schlimmes befürchten. Da wurde nicht nur an Stühlen gesägt, da wurden Dokumente zurückgehalten, Falschinformationen ausgestreut, Kollegen denunziert, der Presse heimliche Winke gegeben und Fallen aufgestellt – und auch Telefonate abgehört. Immer wieder tauchten Meldungen auf, wonach sogar Minister ausspioniert worden waren. Aber fest installierte Mikrofone in den Büros? Sicher war deshalb die Nachfrage nach abhörsicheren Räumen so groß. »Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand.« Den blöden Spruch seiner Mutter hatte er in Erinnerung, sie hatte es gesagt, als sie ihn
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