Grounded (German Edition)
Nathalie fest.
„Ja.“ Mit einer wedelnden Geste verscheuchte Danny einen Käfer von seiner Schulter. „Fast so schnell wie Mum. Mum ist immer gerne geschwommen. Vom Tempo her hat sie auf uns Kinder beim Schwimmen zwar Rücksicht genommen, aber wenn sie allein ihre Runden gedreht hat … Ell kommt sehr nach ihr.“
Nathalie schwieg. Danny fing ihren Blick auf und eine Zeit lang sahen sie einander an, ohne ein Wort zu sprechen. Ihre Finger verschränkten sich mit seinen.
Nathalies Hand war warm, ohne unangenehm schwitzig oder auch nur feucht zu sein. Sie lehnte sich ein Stück in seine Richtung. Ihre beiden Oberarme berührten sich und ein angenehmer Schauer fuhr Danny den Rücken hinab. Weich und geschmeidig fühlte sich Nathalies Haut auf seiner an. Er neigte den Kopf ein klein wenig mehr zu ihr herüber, um ihren Geruch besser wahrnehmen zu können. Ein zufriedenes, zärtliches Lächeln erhellte seine Miene, ohne dass er es bemerkte.
Eine kalte Brise kam auf. Die eben noch warme Luft wurde plötzlich unangenehm kühl und ich bekam Gänsehaut. Ich schob Nathalie ein Stück von mir fort, ihre Haut löste sich von meiner und hinterließ klebrige Kälte, wo eben noch Wärme war. Dicke Wolken verdunkelten den Himmel.
„Geh du schon mal vor. Ich bin gleich bei dir.“
„Ich helfe dir“, sagte ihre Stimme. Ihre blasse, zarte Hand begann, die Dinge, die auf der Decke lagen, zusammenzuräumen. Ich schlug sie ärgerlich weg.
„Geh schon vor. Ich mach das allein.“
Dann war es komplett still.
Ich stopfte die halb leergegessene Keksp ackung in den Rucksack, dann Ells Rock und Annas Zeitschrift.
Auf dem Cover war ein viel zu mageres, u nsympathisch dreinblickendes Model. Es war mir schleierhaft, was diese dürren, unfreundlichen Ziegen auf Zeitschriftencovern verloren hatten. Ich fühlte mich jedenfalls nicht dazu ermutigt, etwas zu kaufen, wenn ich ein griesgrämiges Gesicht mit zu viel Make-up sah.
Im Gegenteil, es löste bei mir Unwohlsein und Wut aus.
Ich packte zwei Äpfel und Nathalies Buch; dann war alles verstaut. Es musste nur noch die Decke zusammengefaltet werden und wir konnten endlich fort von hier. Mein Blick wanderte nach oben, Richtung Himmel. Über mir herrschte jetzt vollkommene Finsternis. Nein, nicht Finsternis – Schwärze. Und auch vor mir. Neben mir. Hinter mir.
Erschrocken warf ich einen Blick zu meinen Beinen hinab, doch auch sie konnte ich nicht sehen. Es war kein Licht mehr vorhanden, nirgends, ich sah meine eigene Hand nicht vor Augen und auch sonst sah ich nicht das Geringste. Meine Finger tasteten unter mir umher, doch ich fühlte keinen Boden. Kein Gras. Keine Decke. Dort war nichts.
„Nathalie?!“ Mehrmals rief ich ihren Namen in die Dunkelheit, doch ich erhielt keine Antwort. „Nathalie!!“
Ich sah sie nicht, ich hörte ihre Stimme nicht. Wo war sie? Ich musste sie finden. Sie war da draußen ganz allein. Ich war ganz allein.
Ich streckte meine Hand aus um nach ihr zu greifen. Irgendwo in dem Nichts, irgendwo in dieser undurchdringlichen Schwärze musste sie doch sein. Wie sehr ich auch suchte, wohin ich mich drehte, ich fand sie nicht.
Verzweifelt und ratlos hielt ich inne, suchte fieberhaft nach weiteren Möglichkeiten, weiteren Wegen. Es musste eine Lösung geben. Unlösbare Level gab es nicht.
Und dann sah ich ihn .
Im Dunkel vor mir tauchte ein Rehbock auf. Sein Rücken war mir zugewandt; langsam, Huf um Huf, schritt er auf dem schwarzen Nichts, das überall um uns herum war, vorwärts. Von mir fort. In dem Moment, als ich ihn sah, wusste ich es. Er hatte Nathalie. Oder er ging zu ihr. Eins von beidem.
„Du!“, schrie ich, „Halt! Bitte! Halt an! Stop, bitte!“ Ich rief so laut ich konnte, doch ich war nicht sicher, ob der Rehbock mich überhaupt hören konnte. „Hey! Bitte halt an! Nimm sie nicht mit !!“ Ich setzte meine Füße in Bewegung und stolperte sehr langsam, viel zu langsam, vorwärts, ihm hinterher. Ich streckte meinen Arm in seine Richtung, doch ich war zu weit von ihm entfernt.
„Nimm sie nicht mit, lass sie bei mir, bitte , halt an!! Warte!“
Der Rehbock unterbrach seinen Schritt, seine Hufen kamen nebeneinander zum Stehen. Dann, sehr bedächtig, drehte er sich zu mir um. Ansätze von Hörnern waren auf seiner Stirn zu erkennen. Sein Gesicht war schmal und von hellbraunem Fell überzogen. Er sah mich ausdruckslos aus seinen schwarzen Augen heraus an.
Hatte er mich gehört? Hatte er mich verstanden ?
„Bitte, nimm sie mir nicht
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