Grounded (German Edition)
meinem Kopf und Leben hatten mir immer die Welt bedeutet. Sie hatten mich aufgerichtet und befähigt, allem, was sich mir entgegenstellte, die Stirn zu bieten. Entschlossen und ausgeruht die Stirn zu bieten.
Was war nur mit mir passiert?
Wie hatte ich in diese Situation geraten können?
Und – wo war meine Freundin jetzt?
Erneut wählte ich ihre Handynummer.
Nach wie vor keine Verbindung.
Das Festnetztelefon existierte selbstverständlich auch nicht mehr. Logisch, offenbar war Nathalie ja umgezogen.
Warum hatte sie mir nichts gesagt?
Gut, ich war in letzter Zeit nicht gerade Mister Erreich- und Ansprechbar gewesen, aber das hätte sie mir doch sagen müssen. Oder eine E-Mail! Sie hätte mir eine E-Mail schreiben können. Irgendwas.
Ich schaltete meinen Rechner ein und übe rprüfte meine Mails. Keine Nachricht von ihr. Nichts.Ich begann, ungefähr vierzig E-Mails an sie zu verfassen und verwarf sie alle wieder innerhalb kürzester Zeit. Lange Entschuldigungen, Liebeserklärungen, schamhafte Geständnisse meines Fehltritts, sofern sie von dem nicht längst erfahren hatte – alles war dabei. Und alles wurde wieder gelöscht. Das ging so nicht.
Ich konnte nicht nach – was, zwei Monaten? Drei? – mit einer E-Mail kommen. Das war feige. Und zu einfach. Ich verdiente es nicht, es mir einfach zu machen. Und ein paar Zeilen Text konnten sowieso nichts von dem erklären oder ausdrücken, was ich wirklich sagen wollte. Aber, wichtiger, sie würden mir nicht garantieren, dass ich hörte, was sie zu sagen hatte.
Nach allem, was ich wusste, könnte sie gena uso gut nie mehr ein Wort mit mir reden wollen. Womöglich hatte sie meine Nummer geblockt und ich erreichte sie deshalb nicht auf dem Handy.
„Wenn du das bekommst, melde dich bitte bei mir.“
Ich drückte auf „Senden“. Da. Sie war raus.
Mein ganzer Körper sehnte sich danach, N athalie zu sehen. Unbedingt. Ich wollte ihr Gesicht sehen, ich wollte mir anhören, was auch immer sie mir zu sagen hatte. Und das war vermutlich so Einiges, nach allem, was passiert war. Dennoch, egal was es war, ich wollte es hören. Musste es hören. Verdiente es nicht anders. Schuldete es ihr. Anrufen konnte ich sie nicht. Besuchen konnte ich sie auch nicht. Und E-Mails waren armselig und würden mir außerdem auch keine einzige Antwort bringen, denn womöglich würde sie sich weigern, meine Mails zu beantworten. Es wäre nur zu verständlich gewesen.
Was sollte ich tun?
Mit einem Seufzen schaltete ich den Rechner ab.
Besonders viel verstand ich wirklich nicht von Frauen, wurde mir, nicht zum ersten Mal, bewusst. Ernsthafte Beziehungen hatte ich vor Nathalie ja nur wenige gehabt und zwischen Nathalie und mir war es bei kleineren Krisen im Regelfall sehr harmonisch zugegangen. Wir trafen uns, wann immer möglich, auf halbem Wege und falls nicht möglich, einigten wir uns eigentlich immer auf irgendetwas. Aber jetzt war es anders. Und wesentlich komplizierter. Ich war vollkommen ratlos. Wie verhielt man sich denn in einer Krise? Wie heilte man Verletzungen, die man jemandem zugefügt hatte? Gab es einen Trick, mit dem sich ein gebrochenes Herz wieder zusammensetzen ließ? War es möglich, wieder dorthin zurückzukehren, wo man irgendwann einmal angefangen hatte?
Ell. Wenn jemand wusste, wie Frauen tickten, dann doch meine Schwester. Was Dating anging, hatte sie mehr Erfahrung, als irgendein anderer Mensch, den ich kannte.
Eine Weile rang ich mit mir, ob ich mich ihr wirklich anvertrauen sollte. Ich war ihr großer Bruder, ich sollte für sie da sein und ihr helfen. Nicht umgekehrt.
Allerdings – wie oft hatte ich ihr schon geho lfen, wenn es um Herzensangelegenheiten ging? Gut, meistens hatte ich sie lediglich veralbert oder aber stillschweigend bei ihr gesessen, einfach aus dem Grunde, weil mir nichts Intelligentes oder Tröstliches zu sagen einfiel. Das wiederum zeigte doch aber nur, wie wenig ich selbst von diesem ganzen zwischenmenschlichen Kram verstand.
Wie dem auch sein mochte, allein in meinem Zimmer grübelnd kam ich nicht weiter und gewann Nathalie sicherlich nicht zurück. Ich würde es einfach riskieren müssen, dass Ell mich auslachte, ausschimpfte oder mich für einen Idioten hielt. Irgendetwas musste ich tun und wenn ich es alleine machte, würde ich es mit großer Sicherheit vollständig versauen.
Ell war nicht im Wohnzimmer. Hinter ihrer Tür waren ruhige Grunge-Klänge zu hören. Ich vergaß zu klopfen und trat ein.
Meine Schwester saß auf ihrem
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