Grounded (German Edition)
antwortete ich knapp und hielt, auch wenn es sinnlos war, weiterhin Ausschau nach meiner Freundin. Es war Unsinn, bei Oma Frieda ins Detail gehen zu wollen, was meinen Arbeitsplatz anbelangte. Das würde zwangsläufig zu einem langen und flammenden Monolog meinerseits über Spiele führen. Vermutlich wäre das für Oma Frieda ähnlich interessant, wie ihre endlosen Orthopädie- und Blutwert-Geschichten für mich.
„Das ist schön“, sagte sie. „Und, wie läuft es mit Natchen?“, schloss sie ihren zweiten Evergreen an. Wie immer wäre ich ihr am liebsten an den Hals gesprungen, als mir die Verunstaltung von Nathalies Namen zu Ohren kam, doch es gelang mir irgendwie mich zu beherrschen. „Das wüsste ich auch gerne. Seit ich auf dem Klo war, kann ich sie nicht mehr finden.“
„Ach so. Ja, ja, viele Leute hier“, sagte Oma Frieda zerstreut und schien sich plötzlich viel mehr für das Glas Sekt in ihrer Hand zu interessieren. Resignierend hob ich die Augenbrauen. Sobald sie ihre Pflichtfragen losgeworden war, war ich abschrieben. Typisch. Ich versuchte mich zu erinnern, ob meine Oma ebenfalls so wunderlich war, aber ich kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Dazu sah ich sie einfach zu selten. Das letzte Mal nach Mums Beerdigung war wann, vor zwei oder drei Jahren gewesen? Nun, soweit ich mich erinnerte, hatte sie damals ganz vernünftig auf mich gewirkt und die wenigen Male, die wir miteinander telefonierten, ebenfalls. Aber gut, das musste nichts heißen. Bei alten Leuten konnten ein, zwei Jahre so Einiges verändern.
Ich mochte meine Großmutter eigentlich ganz gerne und manchmal bedauerte ich es, dass ich sie nicht besonders gut kannte. Eigentlich kannte ich bis auf Dad und Ell niemanden aus meiner Familie so richtig. Wie hätte mein Leben heute wohl ausgesehen, wenn wir in Neuseeland geblieben wären? Wäre ich glücklich? Wäre ich genauso besessen von Spielen oder wäre ich stattdessen ein Fan von Tieren oder körperlicher Arbeit geworden? Ich mochte Schafe eigentlich. Der Gedanke daran, jeden Tag auf einer Farm mit anpacken zu müssen, gefiel mir hingegen schon weniger. Aber vielleicht hätten wir ja auch in einer Stadt gewohnt und nicht auf der Farm bei Oma und Opa. Und mit Sicherheit würde Mum noch leben. Andererseits gäbe es in Neuseeland definitiv keine Nathalie in meinem Leben. Hätte ich die Wahl, würde ich ein Leben hier mit Nathalie wählen oder eines in Neuseeland mit Mum?
Nathalies Verwandtschaft akzeptierte mich b ereits seit einer ganzen Weile als vollwertigen Familienbestandteil. Es war rührend und ich schätzte das prinzipiell sehr. Nur die Unannehmlichkeiten, die unweigerlich mit Familien einhergingen (taktlose Fragen, besserwisserische Ratschläge, stundenlange Schilderungen von Krankheiten), auf die hätte ich verzichten können.
Ich stand auf. „Ich gehe sie mal suchen, i rgendwo muss sie ja sein. Bis dann“, erklärte ich kurz, bevor ich verschwand. „Ich habe sie vorhin an die frische Luft gehen sehen“, rief mir die alte Frau noch beiläufig hinterher, bevor sie sich wieder ihrem Sekt widmete. Sie blickte nicht einmal auf, als ihr Gatte, Nathalies Großvater Herbert, sich zu ihr an den Tisch gesellte.
Noch unsicher, ob ich Oma Frieda dankbar für den Hinweis war oder wütend darüber, dass sie erst im letzten Moment damit herausgerückt hatte, kämpfte ich mich durch die Menschenmenge zum Ausgang und verließ die für die Feier gemietete Gaststätte.
Es war bereits dunkel und die Sterne funkelten an einem erstaunlich klaren Nachthimmel. Verschiedene Personen, hauptsächlich Männer mittleren Alters, die Witze über das kommende Unglück des Ehemannes rissen, standen in Grüppchen zusammen und rauchten.
Ein erleichtertes Seufzen stahl sich aus meiner Brust, als ich Nathalie endlich entdeckte. Sie saß auf einer Bank und fummelte an ihren Füßen herum.
„Hey“, sagte ich.
„Hey“, antwortete sie mit einem flüchtigen Lächeln, bevor sie weiter ihre Zehen und Hacken rieb. Die festlichen Pumps, die sie zu ihrem hell- und dunkelblau verziertem Satinkleid trug, standen neben ihr auf der Bank.
„Ich habe doch gesagt, dass du dir Blasen holst“, meinte ich sanft, während ich beobachtete, wie Nathalie mit zusammengebissenen Zähnen Pflaster auf die wundgescheuerten Stellen klebte.
„Das habe ich ja auch gar nicht bestritten, oder?“ Sie steckte das Pflasterpapier in ihre Handtasche und lächelte mir gequält zu. „Aber irgendwas Schönes muss man ja
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