Grounded (German Edition)
anziehen.“
„Du hättest auch in Pulli und Jeans kommen können und wärst trotzdem noch die Hübscheste hier gewesen.“
„Ach, ihr Männer versteht das nicht“, neckte sie mich grinsend, als sie ihre Füße wieder in die Schuhe hineinzwängte. „Lass uns reingehen, Danny, mir ist kalt.“ Ihr dunkelblondes und zur Feier des Tages zu einer Lockenfrisur zurechtgemachtes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Ihre Oberarme waren bei näherer Betrachtung von einer dicken Gänsehaut überzogen. Ich zog mein Jackett aus und zwang Nathalie es anzuziehen, trotz ihres Einwandes, dann käme ihr Kleid nicht mehr richtig zur Geltung.
„Du ziehst es einfach wieder aus, wenn du dich aufgewärmt hast“, entschied ich und nahm ihre Hand, die inzwischen ganz eisig geworden war.
Zusammen gingen wir hinein und begegneten Jan, der verzweifelt nach etwas suchte. Seine Miene erhellte sich schlagartig, als er uns beide registrierte.
„Danny, Nathalie! Gut, dass ihr hier seid. Wo ist der Umschlag mit dem Gutschein? Habt ihr den irgendwo gesehen?“
„Den hast du noch in deinem Auto, soweit ich weiß“, sagte Nathalie, die Jan erst auf die Idee gebracht hatte, für sich und Anna diesen Gutschein zu kaufen. Da ihnen momentan das Geld für ausgefallene Flitterwochen am luxuriösen, weißen Sandstrand vor bilderbuchblauem Meer fehlte, hatten Nathalie und ich Jan davon überzeugt, wenigstens eine Woche mit Anna in ein schickes Wellnesshotel zu fahren. Wir hatten die Hälfte davon, als unseren Teil des Hochzeitsgeschenkes, bezahlt. Anscheinend fand Jan, dass nun der Moment gekommen war um Anna, die davon ausging, dass keine Flitterwochen stattfanden, mit dem Hotelgutschein zu überraschen.
„Danke, Kleines“, erwiderte Jan erleichtert und eilte in Richtung Ausgang. Nathalie musste leise lachen.
„Hast du gesehen, wie er geschwitzt hat? So nervös und durcheinander habe ich ihn ja noch nie gesehen. Sonst hat er immer die Ruhe weg und nun? Herrlich.“
„Es ist sein Hochzeitstag. Da wär ich auch ne rvös. Also, jeder wäre da nervös“, fügte ich ein bisschen hastiger als beabsichtigt hinzu. Nathalie lächelte gut gelaunt vor sich hin und schüttelte dann den Kopf. Sie wollte zu einer spöttischen Bemerkung ansetzen, als gerade in diesem Moment das klassische Stück – endlich, wie ich fand, für mich war das nichts weiter, als nervtötendes Gefiedel – ausklang und von einem langsamen Titel aus den Achtzigern abgelöst wurde.
Vielleicht hatten wir den „kulturellen“ musik alischen Teil der Feier damit ja überstanden, hoffte ich. Immerhin waren wir hier auf der Hochzeit von einem Paar Mitte Zwanzig, nicht Ende Fünfzig, da war doch ein wenig zeitgemäßere Musik nicht zu viel verlangt.
„Oh mein Gott, ich liebe dieses Lied.“ Nath alies Augen strahlten und sie warf einen sehnsüchtigen Blick Richtung Parkett. Ich war klug genug, ihren Hinweis zu begreifen. Ihre Hand in meine nehmend zog ich sie auf die Tanzfläche. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich noch, wie Jan in den Raum stürzte und Anna mit einem hastigen Winken zu sich beorderte, bevor ich den Arm um die Taille meiner Freundin legte und zu tanzen begann.
Sie freute sich sichtlich und schloss die Augen, ihre Lippen formten den Text des Liedes. Nathalie war erstaunlich, was das anbelangte – sie kannte den Text so ziemlich jedes Liedes komplett auswendig. Ich lächelte; sie war unwahrscheinlich süß, kein Wunder, dass ich dieses Mädchen schon seit mehr als drei Jahren liebte. Kennengelernt hatte ich sie auf dem Gymnasium, auf das ich nach unserem Umzug gewechselt war. Ich, Papa und Elena, die damals gerade Dreizehn geworden war, hatten nach dem Tod von Mum einen Tapetenwechsel bitter nötig gehabt. Es sah auch so aus, als wäre der Umzug in eine neue Stadt das Beste gewesen, was uns unter diesen Voraussetzungen passieren konnte; Elena, die seit jeher etwas exzentrisch war, fand an der neuen Schule erstaunlich schnell gute Freunde – etwas, was man vorher wirklich nicht hatte behaupten können – und mir war Nathalie begegnet.
Wenn ich heute zurückblicke, denke ich, dass ich damals ziemlich kaputt war. Ich rannte blind im Kreis und gegen Wände, meine Welt war eine Gummizelle ohne Anfang und Ende, ohne oben und unten. Und Nathalie war diejenige, die mir den Boden unter den Füßen zurückgab.
*
Nach zögerlichem Klopfen öffnete Danny die Tür zum Klassenzimmer. Er hatte sich schon zum zweiten Mal in dieser Woche, und es war erst Mittwoch,
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