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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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hatte. Der Wochenmarkt von Prades war
der Ort, von dem aus er hoffte, die Fäden zu jener mysteriösen Beziehung
zwischen Ed und einer Markthändlerin aufgreifen zu können. Insgeheim hatte er
damit gerechnet, Sophie dort zu treffen und durch sie schnell zu einem Ergebnis
zu gelangen.Sie erschien dort aber nicht, oder
er übersah sie.
    Der Ort selbst war beschaulich und unspektakulär und
vermutlich nur am Markttag stark von Touristen besucht. Viele der kleinen Läden
hatten auffallende Holzfassaden, die bis an die Balkone der ersten Etage
reichten, mit teilweise filigran ausgearbeiteten Säulenelementen. Man hatte
diese Fassaden in allen Schattierungen von Lavendelblau, Chromoxydgrün, Ocker
oder dunklem Siena vor das Mauerwerk gesetzt, und manche ließen an den
übermalten Schriftzügen die wechselnden Inhaber oder angebotenen Waren der
vergangenen Jahrhunderte erkennen.
    Auf dem zentralen Platz und den angrenzenden Straßen gab
es alles, was einen provenzalischen Wochenmarkt ausmachte: Stände mit Obst und
Gemüse, Käse, Wurst und Schinken, Olivenöl, Wein, Kräutern, Fleisch und sogar
einen Stand mit einer üppigen Fischauswahl, darunter ein großer Thunfisch, der
im Ganzen auf dem Eis lag und bis zur Hälfte des Rumpfes bereits aufgeschnitten
und verkauft worden war. Neben den Lebensmittelangeboten gab es Textilien,
Bekleidung, Hausrat, Spielzeug, Matratzen; für Touristen die obligate
provenzalische Keramik, Essenzen, Seifen und Körperöle mit Duftnoten von
Lavendel, Thymian und Rosmarin. Anselm hatte nie die Begeisterung für
Wochenmärkte verstehen können, die häufig ausgerechnet bei Mitmenschen auftrat,
die sonst auf absolute Frische und untadelige Hygiene Wert legten. Hier lagen
Lebensmittel ungeschützt in der Gluthitze, waren Staub und Insekten ausgesetzt;
es war weder Anbau noch Herkunft noch Lagerung nachvollziehbar. Jeder der so
authentisch provenzalisch wirkenden Gemüse- und Obsthändler würde Eide
schwören, dass seine Produkte aus ökologisch unbedenklichem Anbau stammten und
erst an diesem Morgen im heimischen Garten geerntet worden seien; die Verkäufer
von Olivenöl würden die schonende Kaltpressung ihrer extra nativen Öle
hervorheben und die Käsehändler die traditionelle handwerkliche Herstellung der
angebotenen Laibe. Das alles war verständlich, schließlich lebten diese
Menschen von dem Marktgeschehen und sie entsprachen so den Erwartungen der
Besucher. Aber in dieser Umgebung von Lärm und von Duftschwaden, die aus in der
Sonne schwitzenden Früchten und überwürzten Würsten, aus Lavendelgestecken, aus
Körben mit getrockneten Küchenkräutern und Gewürzen emittierten, war es
praktisch unmöglich, selbst mit einem geschulten Gaumen das tatsächliche
Geschmackserlebnis der überall angebotenen Proben zu erfahren. Anselm
schauderte.
    Er ging mehrfach an den Ständen entlang und musterte die
Gesichter der Händlerinnen. Die Frau, die er auf Valeries Foto gesehen hatte,
konnte er aber nicht entdecken. Einige Händler sprach er an, hatte dabei aber Schwierigkeiten,
den Dialekt des Midi zu verstehen. Die meisten kannten die Kräuterfrau
vom Sehen, aber nur wenige wussten ihren Vornamen; Familiennamen spielen auf
dem Markt keine Rolle. Er bekam den Tipp, sie auch auf dem Markt im Nachbarort Montigny zu suchen.
    Schließlich ging er zu seinem Wagen zurück, sah auf die
Karte und entschied, obwohl es fast Mittag war, noch nach Montigny zu fahren.
Als er ankam, waren die Händler bereits damit beschäftigt, ihre Stände
abzubauen, einige hatten schon den Platz verlassen. Man erzählte ihm, dass am
Samstag auch Markt sei und er beschloss, dann noch einmal zu kommen.
    Montigny war pittoresker als Prades, an einen steil
aufragenden Hang gebaut, mit dunklen, schmalen mittelalterlichen Häusern, die
sich über teilweise sechs Geschosse wie Rankgewächse den Steilhang hinaufzogen,
dessen Grat von einer wuchtigen Burgruine gekrönt war. Er aß in einem der
kleinen Restaurants am Marktplatz und fuhr danach Stunden ziellos durch die
Gegend. Hin und wieder stieg er aus und ging kurze Strecken spazieren. Von der
Provence kannte er bislang nur die Küste. Cannes, Nice, Saint Tropez, Cassis
und die Landschaft im Hinterland, die man von der Autobahn La Provençale und der Küstenstraße aus sah. Die Provence, durch die er an diesem Tag gefahren
war, zeigte sich anders. Die Landschaft hier war spröder als es die Küste mit
dem azurblauen Meer und den grünen, weich fließenden Hügeln des

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