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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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Hinterlandes
war, von denen sich in hartem Kontrast lediglich der Steilhang des Luberon und die Kalkhänge der Saint Victoire und der Alpilles abhoben. In
dem Teil der Provence, die er an diesem Tag neu entdeckte, waren die Berge und
Täler schärfer konturiert, einsamer und wilder; die Dörfer verschlossener und
nicht so sehr, wie weiter im Süden, ganz zu den zentralen Plätzen hin
orientiert.
    Am späten Nachmittag kehrte er wieder in die Bastide
zurück und legte sich in seinem Zimmer auf den Steinfußboden, der ihm kühler
als das Bett erschien, kreuzte die Arme hinter dem Kopf und versuchte, die
Gedanken zu ordnen, die ihm im Verlauf des Tages gekommen waren.
    Einige Zeit widmete er der Betrachtung der wuchtigen
dunklen Deckenbalken, die, ihrem natürlichen Wuchs entsprechend, vor
Jahrhunderten grob behauen in das Natursteinmauerwerk gefügt worden waren. Im
Laufe der Zeit waren sie vermutlich hart wie Beton geworden und würden auch
einen Brand des Hauses unbeschadet überstehen. Ed hatte das Haus komplett
renovieren lassen und der Architekt war sehr behutsam den Formen gefolgt, die
durch die natürlichen Baustoffe des alten Gemäuers vorgegeben waren. Je nach
Lage im Haus waren die Natursteinmauern unter dem alten Putz freigelegt und
sorgsam verfugt worden. Lediglich die Außenwände hatte man mit einer
zusätzlichen Isolierschicht versehen, neu verputzt und in einem zarten Safranton
mit natürlichen Ockerfarben aus der Region gestrichen. Aber selbst an diesen
Wänden waren die formgebenden Natursteine noch durch Wölbungen und teilweise
sichtbar gelassene Steinkanten zu erkennen. Das ganze Haus war wunderbar
harmonisch gestaltet und strahlte Ruhe und Erhabenheit aus.
    Er dachte an die Frau auf dem Foto. Als Eds Geliebte
schied sie für ihn definitiv aus. Dessen Interesse an Frauen war offensichtlich
auch in der Provence auf Blondinen ausgerichtet gewesen, die in Deutschland
vorzugsweise jung, schlank, groß und vollbusig sein mussten. Anselm hatte sich
immer gefragt, wie eigentlich Valerie in Eds Beuteschema passte. Sie war fast
androgyn, zierlich, mit kleinen Brüsten und brünett. Dennoch hatte sich Ed
ihretwegen von seiner damaligen Frau getrennt. Valerie musste ihn mit
nachhaltig wirkenden Argumenten überzeugt haben, die gewiss nicht rein verbaler
Natur gewesen waren.
    Vermutlich war es auch Valerie bewusst, dass die
Marktfrau keine Konkurrenz darstellte, was bedeuten würde, dass sein Rechercheauftrag
einem andern Ziel diente als dem, das Valerie ihm genannte hatte.
    Welche Beziehung mochte tatsächlich zwischen Ed und der
Marktfrau bestanden haben? Wo konnten sie sich erstmals begegnet sein? Wie war
die Vertrautheit zwischen ihnen entstanden, die Valerie geschildert hatte?
Warum hatte Ed diese Beziehung vor seiner Frau geheim gehalten?
    Anselm entschied sich dazu, Eds Arbeitszimmer zu
durchsuchen, dessen persönliche Aufzeichnungen, die Bücher und Zeitschriften,
die er zuletzt gelesen hatte, die Straßenkarten in seinem Auto – in der
Provence fuhr er einen Peugeot mit französischem Kennzeichen, der BMW mit
deutschem Nummernschild stand in der Garage –, Quittungen von Einkäufen und
Restaurantbesuchen, Notizen in seiner Brieftasche. Es gab mit Sicherheit
Spuren, die Eds Verhalten plausibler erscheinen ließen; die ihm einen Weg zu
der Marktfrau und der Blondine eröffnen würden. Im Gegensatz zu Valerie sah er
diese Frau nicht als nebensächlich an. Letztendlich war sie nach seinem
Empfinden mittelbar die Todesursache.
    Auf dem Weg zum Arbeitszimmer beobachtete er aus dem
Fenster zur Zufahrt einen Mann, der auf die Bastide zu schlenderte. Nach
Anselms Einschätzung schien er um die vierzig zu sein, mit italienischem
Einschlag, schwarzem, sehr dichtem Haar, leicht olivfarbener Haut und einem
bulligen Körper, muskulös, aber auch etwas behäbig. Er trug trotz der Hitze
einen Anzug, hatte sich aber das Jackett über eine Schulter gehängt und die
Ärmel hochgekrempelt. Seine Krawatte hing achtlos weit aufgezogen vor der
Brust.
     
Luc Vidal
    Luc Vidal war noch nie beruflich in der Gegend von
Prades gewesen. Es war ein ruhiger kleiner Marktflecken, umgeben von
Karsthügeln, Dinkel- und Lavendelfeldern. Eine gemächliche Idylle und nicht die
Welt der Gewaltverbrecher, in der er sich sonst bewegte. Er hatte auch nur
deshalb eingewilligt, sich um diesen bizarren Fall zu kümmern, weil er für
einige Stunden der stickigen Luft und der Hitze in Avignon entfliehen wollte.
In der Zentrale hatten sie sich

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