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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hörte Stöhnen und Kreischen, die einen Folterknecht hätten zusammenzucken lassen. Von Joanna keine Spur. Und von Dr. Brillinger auch nicht. Er versuchte, sich abzulenken, an das Grundstück zu denken und an die Befriedigung, die es ihm bereiten würde, die elende Hütte dem Erdboden gleichzumachen; er versuchte, sich vorzustellen, wie er mit seinem Sohn vor dem Frühstück, in der Morgendämmerung, wenn die Welt still war und die Atemluft wie Rauch in der Luft schwebte, einen Ausritt machen würde, aber es half nichts. Lautsprecher quäkten, Türen flogen auf, und er war unbestreitbar, unabwendbar und unwiderruflich im Krankenhaus, verfolgte den Weg des Sekundenzeigers auf der großen häßlichen Anstaltsuhr und starrte die blaßgrünen Wände an wie das Innere einer Gefängniszelle. Er zog den Kopf ein. Er hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen.
    Später, viel später – so viel später, daß er sicher war, Joanna sei auf dem OP-Tisch gestorben, sein Sohn nur eine Phantasie, längst tot und in einem Glas eingelegt, das Sammlerstück eines Grünschnabels von Geburtshelfer, der seine Ausbildung in Puerto Rico bekommen und kaum eine Ahnung hatte, wo das Baby eigentlich herauskommen sollte – schlüpfte Flo Deitz in ihren lautlosen, dicksohligen Schwesternschuhen herein und tippte ihm auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Neben Flo stand Dr. Brillinger und ein Mann, den er nicht kannte. Dieser Mann trug einen grünen Kittel und Gummihandschuhe und war derart mit Blut bespritzt, als käme er gerade vom Schweineschlachten. Aber er lächelte. Dr. Brillinger und Flo lächelten auch. »Dr. Perlmutter«, stellte Dr. Brillinger den blutverschmierten Mann vor.
    »Gratuliere Ihnen«, sagte Dr. Perlmutter mit etwas zu dünner Stimme, als daß es herzlich geklungen hätte, »Sie sind soeben Vater eines gesunden Jungen geworden.«
    »Genau achteinhalb Pfund schwer«, sagte Flo Deitz, als wäre das wichtig.
    Dr. Perlmutter zog sich die Handschuhe mit einem schnalzenden Geräusch aus und streckte Depeyster die bloße Hand entgegen. »Joanna geht es gut«, sagte Dr. Brillinger mit sonorem Raunen. Benommen, erleichtert drückte Depeyster Hände. Allen beiden. Er drückte sogar Flo die Hand.
    »Hier lang«, sagte Flo und glitt auf ihren lautlosen Schuhen davon.
    Depeyster nickte Dr. Brillinger und Dr. Perlmutter zu und folgte ihr nach rechts den Korridor entlang. Sie ging ziemlich flott – erstaunlich flott für eine wackelbeinige, schon etwas ältere Frau, die kaum größer als einszweiundfünfzig sein konnte –, und er mußte sich beeilen, um mit ihr mitzuhalten. Der Korridor endete abrupt vor einer Tür mit der Aufschrift KEIN ZUTRITT, doch Flo huschte bereits in einem rechtwinklig abzweigenden Gang weiter, auf ihren energischen kurzen Beinen so schnell und entschlossen wie eine Langstreckenläuferin. Als Depeyster sie eingeholt hatte, stand sie vor einem Fenster, oder vielmehr vor einer Glaswand, durch die man in das Zimmer dahinter sehen konnte. »Die Neugeborenenstation«, sagte sie. »Da liegt er.«
    Wie lange war das schon her – zwanzig, einundzwanzig Jahre? Wie alt war Mardi? – und er konnte sich kaum fassen. Sein Herz raste, als wäre er eben zehn Stockwerke hinaufgesprintet, und das Haar an seinen Schläfen war schweißnaß. Er preßte das Gesicht gegen die Scheibe.
    Säuglinge. Sie sahen alle gleich aus. Insgesamt waren es vier, die dort eingerollt wie rotgesichtige Äffchen in kleinen Körben lagen, mit handbeschriebenen Namensschildchen, auf denen ihre Abkunft verzeichnet war: Cappolupo, O’Reilly, Nelson, Van Wart. »Wo?« fragte er.
    Flo Deitz sah ihn verwundert an. »Na, da«, sagte sie, »der ganz vorne. Van Wart.«
    Er sah hin, doch er sah es nicht ein. Das? dachte er, und etwas wie Panik, wie Verleugnung stieg in seiner Kehle auf. Dort lag es – dort lag er , sein Sohn, in weißes Leinen gewickelt wie die anderen, aber zu groß, viel zu groß, und mit einem pechschwarzen Haarbüschel auf dem Kopf. Und auch mit der Haut stimmte etwas nicht – sie war dunkel, fast kupferbraun, als hätte er einen Sonnenbrand oder so. »Äh, stimmt alles mit ... mit ihm?« stammelte er. »Ich meine, seine Haut –«
    Flo lächelte ihn an, strahlte übers ganze Gesicht.
    »Ist das, äh, noch die Nachgeburt oder so was?«
    »Er ist süß«, sagte sie.
    Er sah noch einmal hin. Und in diesem Moment, als wäre bereits ein seelisches Band zwischen ihnen entstanden, zuckte das Baby mit den Armen und riß die

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