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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und an der monolithischen Fassade der Apartmenthäuser als Echo abprallt. Ich bemühe mich, einen ganzen Schwall von Gefühlen zu unterdrücken, aber sie tauchen dauernd wieder auf, durchstoßen die Oberfläche, drohen sich loszureißen und ein für allemal aus dem Ruder zu laufen. »Wozu?«
    »Was glaubst du wohl?«
    »Ich weiß nicht – um meine Kontokarten zu überziehen? Mir ins Hirn zu scheißen? Die Erde zu retten?«
    Lily rekelt sich und gähnt, zeigt mir ihre langen gelben Fangzähne und die großen, malmenden Molaren weiter hinten im Maul. Eigentlich sollte sie draußen auf der Steppe sein und Giraffenknochen knacken, das Mark aus den Wirbelkörpern saugen, Hufe zernagen. Nur daß es keine Steppe gibt, nicht mehr jedenfalls, und Giraffen auch nicht. In meinem Hirn hat sich etwas losgerissen und schreit: ES IST ANDREA! Und sie ist es. Andreas Stimme meldet sich wieder. »Nein, du Narr«, sagt sie. »Aus Liebe.«
    Ja, ich bin ein Narr, ein Narr der tausend Kostüme und bunten Hüte, und zum Beweis dafür willige ich in ein Treffen mit ihr ein, ohne viel Gegenwehr und nach nur höchst kümmerlichem Vorspiel, denn die vertraute Stimme wütet in meinem Kopf wie eine Faust, die einen abgenagten Knochen hält. Wann genau haben wir uns zum letztenmal gesehen? Entweder 2002 oder 03. Wir gingen damals gemeinsam klettern, wir tanzten, bis die Musik uns taub werden ließ, und wir vögelten, bis die Vögel erwachten und sangen und an Altersschwäche starben. Einmal brachten wir dreißig Tage nackt in der Sierra Nevada zu, und wenn das auch nicht gerade so wie in Die blaue Lagune ablief, war es doch eine Erfahrung, die man nie vergißt. Und, na ja, meine edelsten Teile sind durchaus noch in Ordnung, Viagra Supra hab ich nicht nötig und auch keine Penisimplantate, besten Dank, und ich frage mich, wie sie nach so langer Zeit wohl aussieht. Sie ist acht Jahre jünger als ich, und falls die Regeln der Mathematik nicht ebenso zusammengebrochen sind wie alles andere, dann müßte sie jetzt siebenundsechzig sein, was aus meiner Perspektive ein höchst interessantes Alter für eine Frau ist. Also klar, ich werde mich mit ihr treffen.
    Aber nicht hier. So ein großer Narr bin ich auch wieder nicht. Ich vereinbare für heute abend sechs Uhr ein Stelldichein in Swensons Wels-und-Sushi-Restaurant in Solvang, trotz des strömenden Regens und der ausgewaschenen Straßen, denn ich hab den Geländewagen von Mac, und was sie hat oder wie sie hinkommt, ist nicht mein Problem. Jedenfalls noch nicht.
    Aber sie wird dasein, darauf wette ich. Sie will irgendwas – Geld, ein Bett zum Übernachten, Kleider, eine gute Flasche Wein, meine letzte Dose mit Alaska-Königskrabben (inzwischen ausgestorben, so wie alles andere, was im Meer schwimmt oder krabbelt, außer vielleicht Zebramuscheln) –, und sie kriegt immer, was sie will. Ich versuche, sie mir vorzustellen, wie sie damals war, Mitte Vierzig, und ich sehe als erstes ihre Augen – Augen, die einen packen und nicht wieder loslassen, heiß und hart und versengend wie zwei Fackeln. Und ihre Brüste. An die erinnere ich mich auch. Ich glaube, sie ist nie im Leben aus dem Haus gegangen, wenn sie nicht etwas anhatte, das an ihr klebte wie frischer Lack. Bis auf diesen Monat in der Sierra Nevada; da trug sie nichts als eine Schicht Dreck und Mückenstiche.
    Andrea. Ja, sicher, es wird Laune machen, sie wiederzusehen, auch wenn gar nichts passiert – und wie gesagt, ich bin noch nicht jenseits von Gut und Böse, was Sex angeht, noch nicht, und obwohl ich mich nicht mal ansatzweise sexuell betätigt habe, seit Lori gestorben ist, bei der Mucosaepidemie vor drei Jahren hier, denke ich dauernd daran. Ich sehe mir die Frauen an, die Macs Leibwächter anschleppen, und male mir aus, wie sie unter den Regenmänteln gebaut sein müssen, ich betrachte die langbeinigen Dinger in ihren Khakikleidern, die ihre Einkaufswagen durch die verlassenen Supermarktgänge schieben, wenn ich den Geländewagen nehme, um Trockenfutter zu holen und was sie gerade so an halbverfaulter Pflanzenkost dahaben, für den Brillenbären und die Nabelschweine. Sex. Eine feine Sache. Auch wenn ich es vermutlich kaum öfter als etwa einmal im Monat aushalten könnte, und selbst dann nur, wenn das ganze gefühlsduselige Drumherum – all das Händewringen und Naseputzen, die Betrügereien und Schreiduelle und die animalische Intimität, die um keinen Deut höher auf der Gefühlsskala steht als das Lecken, Schlecken und Sabbern der

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