Grün war die Hoffnung
Mauer von Rancho Seco, der eingezäunten Nobelsiedlung östlich von uns. Das Haus wurde in den Neunzigern mit allem modernen Komfort erbaut, und es ist eigentlich recht gemütlich, außer daß der Wind vor langem schon die Regenrinnen und drei Viertel der Schindeln heruntergerissen hat und daß der Kamin zugemauert ist, Gesetz des Staates Kalifornien. Immerhin hab ich einen Heizlüfter, und so wird es nie wirklich kalt hier, nicht so wie früher – jedenfalls niemals unter fünfzehn Grad –, und ich bin der Feldmarschall einer Armee von Kochtöpfen und Lackdosen, die mit mindestens fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit fünfzig Prozent des Regens einfangen. Und wieso bibbere ich dann trotzdem wie ein Cholerakranker, als ich endlich den Regenmantel abstreife, aus den Stiefeln steige und ein Handtuch um den Kopf schlinge? Weil ich fünfundsiebzig bin, deswegen. Weil Nässe bei fünfzehn Grad in meinem Alter ungefähr dem Gefrierpunkt von Wasser entspricht, als ich neununddreißig war, dem Jahr, in dem ich Andrea kennenlernte.
Überall riecht es nach Schimmel – logisch – und nach Ratten. Die Ratten – eine sogenannte r-Selektion im Überlebenskampf: große Würfe, hochgradig mobil, für praktisch jede Umweltbedingung geeignet – gedeihen prima und vermehren sich, als gäb’s kein Morgen (aber natürlich gibt’s eins, wie sich jeder, der heute lebt, nur allzusehr und allzu schmerzhaft bewußt ist, und dieses Morgen kommt auch für die Ratten). Sie verbreiten einen unterschwelligen, verstohlenen Geruch: wie alte zusammengeknüllte Sportsocken am Boden des Umkleideraums in der Schule, Rohre, die längst einmal gereinigt gehörten, auf dem Teller eingetrocknete Sauce Bolognese, die erst mit etwas Wasser wieder flüssig wird. Es ist ein stiller Gestank, kein Vergleich mit der Hyäne, wenn sie naß geworden ist, was ja jetzt dauernd der Fall ist, undich vergebe den Ratten dafür. Schließlich bin ich ein Umweltschützer – oder war es jedenfalls, hat wohl wenig Sinn, diesen Begriff heute noch zu verwenden – und glaube an leben und leben lassen, die Tiefenökologie und Adat und Keine Kompromisse zur Verteidigung von Mutter Erde.
Andrea. O ja, Andrea. Sie hat mich geschmort in diesem Schmelztiegel, mit ihren glühenden Augen und dieser Stimme wie heiße Asche, und mit ihrem Körper, ihrem wunderschönen, festen Körper einer Rucksackreisenden, den stämmigen Beinen, den fraulichen Hüften und allem anderen. Sie ist jetzt auf dem Weg zu Swensons Kneipe, um mich wiederzusehen. Vielleicht ist sie auch bereits dort, das Gläschen Sake wie ein Fingerhut in ihren großen Frauenhänden, lehnt sie sich an der Theke nach vorn, um herzuzeigen, was sie noch hat, und Shigetoshi Swenson die Sprache zu verschlagen, dem Barkeeper, der höchstens vierundsechzig oder fünfundsechzig sein kann. Der Gedanke an dieses Bild bringt mich in die Gänge, das war schon immer so, und im nächsten Moment bin ich im Schlafzimmer und reiße einen Pullover aus der Schreibtischschublade (einen schwarzen Rolli, um die Truthahnlappen unter meinem Kinn zu verbergen), denke mir, keine Zeit zum Duschen, bin auch so naß genug. Von einem Haken im Schrank greife ich mir eine halbwegs saubere Jeans, schlüpfe in meine Cowboystiefel aus Kunstleder und stürze dann zur Tür hinaus – aber nicht ehe ich das Ensemble mit der Krönung komplettiere: der roten Baskenmütze, die sie mir geschickt hat, als ich zum zweitenmal ins Gefängnis mußte. Ich ziehe sie tief in die Stirn, wie die Strickmütze des Öko-Terroristen. Um der alten Zeiten willen.
Unwetter oder nicht, draußen sind jede Menge Leute unterwegs: Pendler, Einkäufer, Reparaturteams, Teenager, die darauf abfahren, daß die Welt zu Scheiße wird, und ich muß achtgeben auf den Wind, der den Wagen beutelt, auf die Schlaglöcher und Bodenwellen und die ausgewaschenen Stellen. Vor fünfundzwanzig Jahren war das hier Wildnis, wo man Luchse, Maultierhirsche, Kaninchen, Wachteln und Füchse finden konnte, bevor alles niedergemetzelt und weggewildert wurde. Ich erinnere mich noch an Pferderanches, endlose Weideflächen in den Hügeln, riesige Grundstücke wie das vonMac, sogar hie und da eine Emu-Farm (Magerer als Rindfleisch und nur halb soviel Kalorien, probieren Sie noch heute einen Emu-Burger!) . Inzwischen sind dort Apartmentsiedlungen. Graue, feuchte Hochhäusercañons. Und wer lebt in diesen Apartments? Verbrecher. Fleischfresser. Hautkrebspatienten. Leute, die über Tiere – oder über die Natur
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