Grün war die Hoffnung
Aufhänger gab, Teo hakte garantiert ein). »Wirklich«, sagte sie und sah auf, als die Trommler in einen anderen Gang schalteten und die Tänzer sich beim Klang der Ziegenglocken und Tamburine um die Bäume wiegten, »es geht nicht nur um Wölfe und Karibus und Kraniche – es geht um die gesamte Erde. Ich meine, man muß sich mal überlegen, welches Recht wir haben, den uralten Boden aufzugraben und die Pilze und Mikroben darin aufzustören, die Springschwänze und Asseln und die übrigen Wesen, denn ohne sie gäbe es gar keinen Erdboden, und noch weniger Recht haben wir dazu, Dinge herzustellen und in ihrer Form zu verändern...«
»So wie der Becher da in deiner Hand«, sagte ich. »Oder das Sweatshirt, das dich heute nacht warm halten wird.«
»Kompromisse«, erwiderte sie, »alles Kompromisse.«
Das war im Dezember 1997, am Ortsrand von Scotia im kalifornischen Humboldt County. Ich war damals Exknacki, ein entlassener Sträfling, ein Vater, der nie da war, ein Name auf einer Postkarte, und ich hatte in den vergangenen vier Jahren nicht allzuviel von ihr gesehen. Ich wollte nicht, daß sie auf den Baum stieg – Teo wollte das, Andrea wollte es, die versammelte nordkalifornische Earth-Forever!-Sippe und ihre kunterbunte Anhängerschaft johlten danach –, aber ich war hier, um ihr bedingungslos meine Liebe mitzugeben, Angst um sie zu haben und vielleicht an der langen Schnur, die uns all die Jahre ihres Lebens hindurch verbunden hatte, zu zupfen und sie zu überreden, daß sich jemand anders – eine andere jungfräuliche Prinzessin oder ein forscher Drachentöter – dem Feind ausliefern sollte. Ich wußte: sobald sie einen Fuß auf diesen Baum gesetzt hatte, gehörte sie ihnen.
Die Tiefenökologie – Adat – besagt, daß alle Elemente einer gegebenen Umwelt gleich sind und daß moralisch gesehen keines von ihnen das Recht zur Dominanz besitzt. Wir erhalten die Umwelt nicht für den Menschen oder für den Fortschritt, sondern um ihrer selbst willen, weil die ganze Welt ein lebender Organismus und die Menschheit nur ein geringer Teil davon ist. Aber das erzähle man der Axxam Corporation, wenn sie Tausende Hektar von altem Bewuchs kahlschlägt, um die Börsenschulden zu tilgen, die bei der feindlichen Übernahme von Coast Lumber aufgelaufen sind, und sogleich steckt man in einer philosophischen Zwickmühle. Sie werden fällen, und Earth Forever! wird sie aufhalten, mit allen Mitteln. Deshalb also geht Sierra auf den Baum.
Ich drückte sie an mich, hielt sie fest, solange sie es zuließ. Dann übergab ich ihr einen Rucksack voll mit Müsliriegeln, Trockenobst, Büchern und Klopapier und ging davon, durch die Menschenmenge und in den Wald. Ich konnte es mir nicht leisten, bis zum Höhepunkt dabeizubleiben – der ganze Radau diente dazu, die Bullen zu holen, und alle diese Leute würden verhaftet werden –, aber ich blieb noch lange genug da, dezent im Hintergrund, um zuzusehen, wie sie sie den Baum hinaufhievten zu der Plattform, die sie fünfundzwanzig Meter über der Erde erwartete.
Es war kalt. In der Luft lag der Geruch von Regen. Ein dichter werdender Nebel umhüllte die hohen Äste wie ein Gazeschleier, und zwei Vögel flitzten hindurch wie aus einem Gewehr geschossen. Wie kann ich sagen, was ich empfand? Der Flaschenzug quietschte, die Trommler trommelten, und meine Tochter schwebte hinauf in den Dunst, höher und höher, bis die fahlweiße Scheibe ihres Gesichts nicht mehr zu sehen war, und als letztes verschwanden die dunklen, leise schaukelnden Sohlen ihrer Turnschuhe in der Höhe.
In jener Nacht regnete es. Aber es war kein gewöhnlicher Schauer oder Landregen, es war ein El-Niño-würdiger Guß, ein böser Vorbote des apokalyptischen Wetters der Zukunft, begleitet von starkem Wind und einem Temperaturabfall von gut zehn Grad in einer Stunde. Ich war in einem Motelzimmer in Eureka, wo ich mich durch eine Tüte Doritos und ein Sechserpack Black-Cat-Starkbier (das Lieblingsgetränk der Umweltschützer) arbeitete, während ich auf dem hellgrünen Motelfernseher Humphrey Bogart in Schwarzoliv beim Grimassenschneiden zusah und darauf wartete, daß Andrea und Teo auf Kaution freigelassen würden. Aus dem Nichts kam Wind auf, der Abfall gegen die Tür hageln ließ und an den billigen Alurahmen der Fenster rüttelte. Eine gerahmte Motel-Hausordnung fiel von der Wand und landete mit dem Glas nach oben auf dem Bett, ziemlich genau dort, wo mein Hinterkopf beim Schlafen gelegen hätte. Zuerst ging ich
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