Grün war die Hoffnung
an die Tür, dann überlegte ich es mir und schob die Vorhänge beiseite, um zum Fenster hinauszusehen, gerade als der Regen auf dem Parkplatz explodierte.
Der Wasserguß war so heftig, daß er das Licht der Lampen auf der Straße dämpfte, und innerhalb von Sekunden spritzte er in tausend dunklen Pinselstrichen vom Asphalt auf, als wäre die Schwerkraft plötzlich umgekehrt worden. Ich hatte drei Bier intus und noch drei übrig, und als die nächste Bö das Fenster nach innen bog, trat ich zurück und setzte mich aufs Bett, in Gedanken bei Sierra auf ihrem Baum. Und wenn nun ein Ast abbrach? Wenn der ganze Baum umstürzte – oder vom Blitz getroffen wurde? Und was war mit ihrer Angst und Einsamkeit? Jetzt waren keine buntgeschminkten Rebellen da draußen, keine Nasenflöter und Trommler, niemand kochte Linseneintopf oder intonierte Parolen – niemand war dort, nicht einmal der Feind. Wer würde ihren Toiletteneimer entsorgen, der sicher längst überlief bei dem vielen Extrawasser? Wer würde mit ihr sprechen, sie trösten und warm und trocken halten?
Sie war dreißig Kilometer weit weg, auf einem Stück Land, das der Firma Coast Lumber gehörte und von ihr eifersüchtig bewacht wurde – einer hochmißtrauischen, enorm verärgerten Firma, die inzwischen davon Kenntnis hatte, daß auf ihrem Terrain meine Tochter in luftiger Höhe einen der größten und wertvollsten ihrer Bäume besetzt hielt, von wo sie ihnen eine Nase drehte, ein Fanal setzte und ganz allein die Welt rettete – und selbst wenn ich bei dem Wolkenbruch weit genug käme, den Platz zum Parken an der Straße wiederfände und mich durch die Riesenbäume zu ihr durchschlagen könnte, was dann? Sie schaukelte ja nicht in irgendeiner Hängematte – sie befand sich in fünfundfünfzig Meter Höhe, und ich konnte unmöglich zu ihr hinauf. An einem klaren, ruhigen Tag, sicher, vielleicht – her mit Gurt und Jumarschlinge, und ich tue mein Bestes, auch wenn ich zugeben muß, daß ich auf große Höhen noch nie scharf war (an Achterbahnen gehe ich vorbei, und Skilifte jagen mir eine Heidenangst ein). Und bei dem pfeifenden Wind und dem Regen würde sie mich wahrscheinlich nicht von unten hinaufrufen hören. Aber ich würde dort sein. Zumindest würde ich dort sein.
Ich schrieb einen Zettel für Andrea, ließ den schwarzen BMW aufröhren, den sie gekauft hatte, während ich meine Zeit in Vacaville absaß und Sierra dasselbe in einer anderen staatlichen Einrichtung tat (keine Sorge, es war nur die Uni in Santa Cruz), und fuhr mit den restlichen drei Dosen Starkbier hinaus in das Unwetter. Es war keine Nacht zum Spazierenfahren. Bäume waren umgestürzt, manche hatten Stromleitungen mitgerissen, und obwohl es die ersten schweren Regenfälle des Winters waren, waren die Straßen überflutet und mit Treibgut verstopft. Ich wich Baumstämmen, Zaunpfählen, Fahrrädern, Surfbrettern, Grillrosten und einer gespenstischen schemenhaften Herde von Rindern mit Metallmarken in den Ohren aus. Und ich kämpfte, kämpfte mich durch, siebenundvierzig war ich, kurzsichtig und voller Wehwehchen und bereits chronisch schwerhörig, das Radio war voll aufgedreht, eine schwitzende Bierdose zwischen meine Oberschenkel geklemmt, die Scheinwerfer erhellten einen langen dunklen Tunnel im Nichts.
Dreimal verfehlte ich die Abzweigung, die ich suchte, und dreimal mußte ich auf der Straße in einer Suppe aus Schlamm, Steinen und strömendem Wasser wenden, bis ich endlich die Stelle fand, wo wir am Nachmittag geparkt hatten. Das war es alles steinharte Erde gewesen, staubig sogar, aber jetzt war es wie ein Pechsee für Autos, eine im Licht der Scheinwerfer glühende Arena, in der man den Motor heulen und die Reifen durchdrehen lassen konnte, bis sie steckenblieben. Mir war das egal. Sierra war dort auf dem Gipfel des Hügels, im peitschenden Wind, verängstigt und allein – ach was, ebensogut konnte sie fünfundfünfzig Meter hoch in der Luft an einem dünnen Zweig hängen und um ihr Leben ringen. Ich hatte fünf Bier intus. Ich war ihr Vater. Ich würde sie retten.
Was ich anhatte? Jeans, einen Pulli, ein Paar alte Wanderstiefel, irgend etwas gegen den Regen – ich erinnere mich nicht mehr. Sehr gut erinnere ich mich an den Klang des Windes in den Bäumen, ein Kreischen von brechendem Holz, das lange Krachen abgerissener und niederfallender Äste, das kehlige Gebrüll des Regens, der über den Hügelkamm fuhr und sich die gesamte Natur untertan machte. Ich stand knöcheltief im
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