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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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links neben dem Haupteingang mit grimmiger Miene die zwei Als auftauchen. Der größere Al wirft seinem Chef einen warnenden Blick zu und öffnet dann die Tür.
    Dort, in dem eigentümlichen Unterwasserlicht des Unwetters, steht Delbert Sakapathian, der Katzenfreund mit dem Billardkugelkopf und der Ballonwampe. Regenmantel und Südwester hat er verloren, die nassen Kleider kleben ihm am Leib, sein spärliches Haar wirkt wie auf den Schädel gemalt. Aber das ist nicht alles: neben ihm ist noch jemand, so fest in einen schwarzen Regenmantel gewickelt, daß er aussieht wie durch ein Rohr gepreßt – ein alter Mann, vielleicht auch eine alte Frau. Es ist schwer zu sagen, weil er oder sie zu den Altalten gehört, den uralten Alten, den Vorsintflutlichen, Archäologiefunden, Grauer-als-die-Vorzeit-Alten, so alt, daß er/sie vollkommen geschlechtslos geworden ist. Wir sehen die Röhre des Mantels, die Affenhände, das Gesicht wie eine geschälte Weintraube: zahnlos, ohne Kinn und Wangen, ein geschundenes, verdorrtes schwarzes Loch der Menschheit. Keiner von beiden trägt eine Atemmaske.
    »Mr. Pulchris«, sagt Delbert Sakapathian und spricht Mac mit der ganzen Ehrfurcht und Demut eines Abendmahlgasts in der Kirche zur Heiligen Prominenz an, »wir brauchen Hilfe. Ich... das hier ist der alte Foley aus dem Seniorenheim von Lupine Hill – da drüben ist alles nur noch Schrott, und er braucht einen Unterschlupf, ich meine, falls Sie etwas für ihn hätten, nur bis es die Hilfsmannschaften bis hierher schaffen, um wieder was aufzubauen oder die Leute in irgendeine Turnhalle zu bringen oder so was. Er ist jetzt seit Tagen bis auf die Haut durchnäßt.«
    Der Regen behält das stete Prasseln bei. Und auch der Geruch ist da, so scharf, daß ich mich innerlich winde – der Geruch der Unterseite aller Dinge, der Geruch nach Tod und Verfall.
    »Hören Sie, ich bitte Sie nicht meinetwegen – Lurleen und ich schaffen das schon, ich hab mein Kanu draußen am Treppengeländer angeleint, und die können ruhig die Apartments für baufällig erklären, aber mich müssen sie erst abknallen, bevor sie mich da rauskriegen, zumindest, bis der Regen aufhört...« Jetzt blickt er mich an, dann die beiden Als und Chuy, ein stummer Appell.
    Schließlich sagt Mac, mit der süßesten Stimme, einfach nein. Schüttelt weltmüde den Kopf, die Aalpeitschen seines Haars schlackern über die glatten Flächen der wieder aufgesetzten Spiegelbrille. »Ich würde ja gern helfen«, sagt er, »wirklich, aber das geht nicht – ich, wir können es nicht riskieren. Wegen der Mucosa. Sie verstehen das sicher. Aber ich möchte gern helfen. Ehrlich. Geld ist kein Problem. Wollen Sie vielleicht Geld?«
    Ich beobachte Delbert Sakapathians Gesicht. Seine Miene besagt: Ihr Scheißer könnt ruhig krepieren, ihr alle, ihr Narren, ihr tierlieben Spinner und androgynen Rockstars , sie sagt: Ich bin zehnmal mehr wert als ihr, weil ich immer noch ein Mensch bin, und ihr seid bloß Tiere im Käfig . Chuy sieht mich an. Die beiden Als wappnen sich. Und genau in diesem Moment taucht Lily auf.
    Das Geräusch, das sie von sich gibt – ein leises Schnauben der Warnung oder Überraschung –, ist so leise, daß es bei dem prasselnden Regen kaum hörbar ist, und wer ihr nicht zehn Jahre lang beim Fressen, Schlafen und Rumoren im Gehege zugesehen hat, würde es vermutlich gar nicht als tierischen Laut erkennen. Ich wende den Kopf. Das ist alles – ich drehe mich nur kurz um, eine einfache Anspannung und Lösung der entsprechenden Muskelgruppen –, und schon ist Lily vorbei, ein bräunlicher Schatten mit schwarzen Streifen und grauem Kopf, saust vorbei an Delbert Sakapathian und dem Hutzelmännchen, um im Unwetter zu verschwinden.
    Einen Augenblick lang rührt sich keiner. Dann kommt Wind auf, wieder dieser Geruch darin, und einer der Engel aus Silberfolie schabt mit den Flügeln an der Decke. Da trete ich vor, ohne ein Wort zu Mac oder Chuy oder die beiden Männer auf der Schwelle. Ich halte den Türknauf in der Hand, der Regen rauscht wie ein Testbild, dazu dieser Geruch, und dann schwingt die Tür irgendwie zu, bis sie mit einem wuchtigen Knall ins Schloß fällt.
    Und dann? Dann schließe ich ab.
    Eine Woche später sitze ich vor einem künstlichen Kaminfeuer, der Regen spuckt gegen die Fenster, und April Wind kauert zu meinen Füßen, mit einem Recorder von der Größe einer Zündholzschachtel. Sie trägt ein Jeanskleid, an das dünne, fingerlange Stoffstreifen aufgenäht

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