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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Großspurigkeit der Firma Coast Lumber – oder von sonst etwas. Und wo die Bäume für die Sägemühle in ihrer biotechnischen Uniformität gestanden hatten, breiteten sich jetzt Blumenwiesen aus: Sonnenflügel, Arnika, Kreuzkraut, Bergaster und ein Dutzend anderer Spezies, die in ihrem Bestimmungsbuch nicht aufgezeichnet waren. Er pflückte einen Strauß Blumen für Andrea und fühlte sich, als hätte er jede einzeln gepflanzt und gepflegt. So sollte Natur sein.
    Andrea lag noch im Bett, sie schnarchte leise, ihr Haar ergoß sich über das Kissen, der Mund stand etwas offen und ließ das goldene Glitzern eines frisch überkronten Backenzahns oben links sehen. Tierwater hatte sich eine Stunde zuvor ins Zimmer gestohlen, die Vase mit den Blumen auf den Nachttisch gestellt und sich dann auf die Veranda zurückgezogen. Seine Frau war erschöpft. Sie war über eine halbe Woche lang weg gewesen, um Demonstranten aufzuwiegeln und heimlich ihren früheren Zahnarzt zu besuchen, und erst spätabends zurückgekehrt. Tierwater war aufgeblieben, und sie hatten Neuigkeiten ausgetauscht und in dem stillen, friedlichen Obdach der Hütte, die wie ein Schiff in der dunklen See der Nacht dahintrieb, miteinander geschlafen. Jetzt wartete er wieder auf sie. Und betrachtete den Himmel.
    Es war kein gewöhnlicher Himmel – die Wolken breiteten sich in Fetzen und Schleiern darauf aus wie eine Schriftrolle, deren Sprache man allerdings nicht verstand –, aber er schläferte ihn dennoch ein. Als er die Augen aufschlug, war Andrea da, sie saß auf dem Stuhl neben ihm, eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Schatten hatte ihn erfaßt. Es mußte drei Uhr nachmittags sein.
    Sie sagte: »Du bist aufgewacht.«
    »Ja«, sagte er. »Anscheinend.«
    Ihr Haar war naß vom Duschen, strähnig und glanzlos, und sie senkte den Kopf, um es zu kämmen. »Ist dieser kleine Schnüffler wieder aufgetaucht, während ich weg war?« Er beobachtete ihre Finger, ihre Hände, die verknoteten Haare. »Du weißt schon, wie heißt er noch – der Säufer?«
    »Quinn?«
    Sie warf den Kopf zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch das nasse Haar, schüttelte die Nässe heraus; es war so still, daß er die einzelnen Tröpfchen auf die Plattform aufschlagen hören konnte. »Ich fasse es immer noch nicht, daß du ihm damals am Abend reingelassen hast. Er ist nicht so blöd, wie er aussieht. Und auch nicht so versoffen.«
    »Was hätte ich denn tun sollen?«
    »Ihm sagen, daß du Kopfschmerzen hast. Sodbrennen. Grippe. Oder daß deine Frau schlechte Laune hat und dein Vater gestorben ist. Ihm irgendwas erzählen. Glaubst du, er hätte es auch nur zwei Schritte ins Haus hinein geschafft, wenn ich zu Hause gewesen wäre?«
    Tierwater grinste, aber sie nahm das Angebot nicht an. Wieder beugte sie den Kopf vor, und der Kamm arbeitete sich angestrengt durch einen dunklen Strähnenknoten. »Du bist eben härter als ich. Das weiß doch jeder.«
    Sie warf den Kopf samt Haarschopf nach hinten. Jetzt funkelte sie ihn an. »Das ist kein Scherz, Ty. Der Typ ist uns auf der Spur – wenn du das nicht siehst, bist du blöd. Und ich sag dir eins: wir ziehen nicht wieder um, jetzt wo Sierra hier in die Schule geht und...«
    »Wer redet vom Umziehen?«
    »Ich. Entweder das oder Gefängnis, stimmt’s? Entweder das oder das Scheiß-FBI, das uns um vier Uhr morgens die Tür eintritt.«
    Tierwater verspürte einen Schauder. Glaubte sie das wirklich? Woher sollte denn irgend jemand etwas wissen? Es gab keinerlei Beweise, nicht den geringsten. Und jede Hintergrundüberprüfung würde nur den sauberen, klaren, geradlinigen und liebevoll zusammengestellten Lebenslauf von Tom Drinkwater ergeben, dem früheren Lehrer, angehenden Autor und Familienmenschen. »Du beliebst wohl zu scherzen.«
    Sie scherzte nicht. »Ich habe dich gewarnt«, sagte sie, und dann legte sie mit einer netten, kleinen, gutverpackten Rede los, die sie vermutlich die lange Fahrt von der Küste einstudiert hatte. Sie war noch mal in Oregon gewesen. Hatte mit Fred geredet. »Er hat an die zweihundert Stunden in den Fall investiert, Ty – ist dem ermittelnden Staatsanwalt praktisch in den Arsch gekrochen, ganz zu schweigen von den FBI-Leuten –, und er hat uns was ausgehandelt. Keine falschen Namen mehr, kein Erschrecken bei jedem Klopfen an der Tür.«
    Tierwater sah an ihr vorbei zu den Espen, die den ersten Hauch des Windes anzeigten, der aus Westen zu wehen begann. Es war warm in der Sonne, und der Wald lag still da, bis

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