Grün war die Hoffnung
im Zenit über ihnen und brannte ihm heiß auf Schultern und Nacken. Er sah zu den Bergen hinüber, sein Herz raste, er war jetzt schon verlegen – wie hatte er sich von ihr nur dazu überreden lassen? –, dann hob er den Kopf zu Andrea. Sie musterte die Zuschauer gelassen, nahm mit einem nach dem anderen Blickkontakt auf, kostete den Moment bis zur Neige aus. Tierwater stand unvermittelt auf. Je rascher er es hinter sich brachte, desto besser, überlegte er, also öffnete er den Gürtel, machte den Reißverschluß der Hose auf und zog sie aus, erst ein Bein, dann das andere.
Niemand sprach ein Wort, die Menge hielt den Atem an. Tierwater war gut in Form von den vielen Fußmärschen und seinen nächtlichen Aktionen, eins fünfundachtzig und achtzig Kilo schwer, ein bißchen zu magere Beine vielleicht – und er haßte es, seine Beine öffentlich zu zeigen, ebenso die Füße –, aber alles in allem ein recht präsentables Gegenstück als Adam zu Andreas Eva. Er legte die Hose zusammen und reichte sie an Teo weiter (der übrigens ganz in Weiß gekleidet war, in Ringerhemd, Shorts und Sandalen, wie eine Art Priester der Bewegung). Alles starrte auf ihn, und er tat sein Bestes beim Zurückstarren, doch dann griff Andrea hinter sich nach dem Verschluß ihres Kleides, und die hundert Augenpaare schwenkten zu ihr. Er sah zu, wie sie die Arme anwinkelte, während sie sich den Reißverschluß die Wirbelsäule entlang öffnete, und dann fuhren die großen Hände wieder nach oben und zogen das Kleid über ihren Kopf, dazu ein kurzes Schütteln ihres perfekten Haars, das perfekt fiel. Sie trug karminrote Unterwäsche – die Thema einer heftigen Diskussion beim Frühstück gewesen war: Tierwater vehement dagegen, Teo sehr dafür –, und die Körbchen ihres BHs, knapp oberhalb der Brustwarzen, zeigten die geballte schwarze Faust der Bewegung. Ein Lächeln für die Zuschauer, dann reichte sie Teo ihr Kleid. Tierwater war geschlagen, fühlte sich noch alberner und wütender; er zog das Hemd aus, ließ die Unterhose fallen – seine schlichte weiße Unterhose, drei Dollar neunundneunzig bei J.C. Penney – und stand nackt vor aller Augen.
Na schön. Und jetzt waren sie still, die E.F.!ler, die Zeitungsfritzen, die Vogelkundler und Wohnwagenpiloten allesamt. Das war ein Spektakel. Das war Nacktheit. Und Andrea – Andrea Knowles Cotton Tierwater, die Aufwieglerin von Earth Forever! und Umweltaktivistin auf der Flucht – war als nächste dran. Wieder die angewinkelten Arme, als sie den BH-Verschluß öffnete, wieder die hundert Augenpaare, die Tierwater im Stich ließen, um sich auf seine Frau zu richten. (Komm schon, Ty, hatte sie gesagt, es ist doch nur der menschliche Körper, nichts weiter, kein Grund, sich zu schämen. Du bist schön. Ich bin schön. So wurden wir eben geboren.) Dann waren ihre Brüste frei, und sie stieg aus ihrem Slip – und reichte beides, seidig und noch warm, an Teo weiter, jenen Teo, der all das bereits kannte, von nahem und sehr persönlich. Und die übrigen? Die sahen, daß sie eine echte Blondine war, was immer sie damit anfangen mochten.
Zaghafter Applaus erklang, dann ergriff Tierwater sie am Arm – packte sie, ehe sie eine Verbeugung machen konnte, denn er war sicher, daß das kommen würde, und Wieso nicht , hätte sie beharrt, wieso auch nicht? –, und sie kehrten der Menge den Rücken und humpelten auf Füßen, die längst nicht abgehärtet genug waren, ungelenk über eine Stelle mit feinen Granitsteinchen. Da er selbst ein Teil davon war, sah Tierwater nicht, welchen Anblick sie boten, aber an nichts erinnerte ihn die Szene so sehr wie an Raffaels Darstellung der Vertreibung aus dem Paradies. Doch das stimmte ja nicht. Vielmehr betraten sie das Paradies, oder?
Für die nächsten drei Stunden konzentrierte sich Tierwaters Aufmerksamkeit vor allem auf den Hintern seiner Frau, obwohl die Glutaei maximi nur die hervorstechendsten aller hier bewegten Muskeln waren. Er betrachtete auch ihre Oberschenkel, ihre Waden und Knöchel und das Grübchen in ihrer Kreuzbeingegend. Ihre Schultern arbeiteten, die Arme schwangen frei im mühelosen Rhythmus ihres Gangs, und ihr Haar – frisch gewaschen, gekämmt und gefönt – hob und senkte sich, als führte es ein eigenes goldschimmerndes Leben. Er bestaunte das vollkommene Dreieck ihrer Schulterblätter, das exquisite Anspannen und Entspannen der Muskulatur ihres oberen Rückens und ihre Fersen, er liebte ihre Fersen. All das war neu für ihn, eine
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