Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Menschen, die sie fast alle noch nie gesehen hatte – die Wochenendhippies aus der Stadt –, und ihre Brüder und Schwestern waren auch da. Qualm stieg auf, von Räucherstäbchen und Gras- und Haschischjoints, die gewissenhaft von Hand zu Hand gereicht wurden, als wollten sie alle gemeinsam eine riesige Stickerei in der Luft anfertigen. Zwei magere hellbraune Hunde beschnüffelten die Füße der Leute und stießen die Schnauzen in die Futternäpfe, die überall auf dem Boden standen.
    Star hatte es sich in der Ecke auf einem Thron aus alten Sofakissen gemütlich gemacht, zusammen mit Ronnie und einer neuen Frau, deren Namen sie vergessen hatte. Sie verspürte nichts als Müdigkeit, und obwohl die ganze Szene einfach phantastisch war, wie ein Sommerlager ohne Aufsicht, wie eine Party, die nie zu Ende ging, fand sie doch, daß es allmählich genug war, und hätte sich am liebsten davongestohlen und einen Platz zum Hinhauen gesucht, um vom Schlaf davongespült zu werden wie von einer dunklen Flut des Nichts. Ronnies Bein lag über ihrem, und sie spürte die Berührung des Haars der neuen Frau an ihrer Schulter, wie eine Prise Salz oder Zucker. Sie schloß die Augen, ließ sich treiben. Die Musik versickerte wie Wasser in einem Ausguß, Wasser, das sie jetzt überspülte, ein Bach, ein Fluß, ein Bassin ergoß sich ins nächste ... Doch dann stieß plötzlich eines der Kinder einen gellenden Klagelaut aus, und sie kehrte zurück in die Wirklichkeit. Es war der kleine nackte Junge, der mit seinen baumelnden Geschlechtsteilen und den fehlenden Vorderzähnen wie ein Mini-Dämon aussah und der gerade seiner Mutter – Reba, so hieß sie, oder vielleicht Rena? – irgend etwas aus der Hand schlug. Er kreischte noch einmal auf, aber damit war der Spuk auch schon vorbei, denn Reba hielt ihm einfach einen Joint an die Lippen und sank dann zurück in die Kissen, als wäre nichts geschehen.
    Und so war es ja auch. Niemand schien es zu bemerken oder sich drum zu kümmern. Zu Sky Dog hatte sich jetzt ein zweiter Gitarrenspieler gesellt, und sie arbeiteten sich durch die stetigen, stockenden Modulationen eines Blues. Eine Frau mit nacktem Oberkörper, die bisher noch keiner gesehen hatte, stand auf und fing an, mit den Hüften zu wackeln und ihre gewaltigen Brüste im Rhythmus der Musik zu schwenken; es dauerte nicht lange, da erhoben sich auch ein paar der ständigen Mitglieder der Kommune und taten es ihr gleich, wiegten sich im Takt und schlängelten die Arme in die Höhe wie Hindu-Mystiker.
    »Touristin«, sagte Ronnie, und die Silben perlten ihm hart und trocken über die Zunge. »So ein Wochenendhippie.« Er trug ein T-Shirt aus Baumwolle, das Star an ihrem ersten Tag hier für ihn gebatikt hatte, mit orangefarbenen Supernovä, die in Galaxien von tiefem Rosa und Lila explodierten, und als er sich zu der neuen Frau umwandte, ließ das Licht seinen Bart zur schimmernden Aura werden. »Aber du bist keine Touristin«, sagte er. »Stimmt’s, Merry?«
    Merry lehnte sich gemütlich in seine Ellenbeuge. »Ich geh nie wieder zurück«, sagte sie, »das kann ich euch versprechen.«
    »Genau«, sagte Ronnie, »genau, denk nicht mal dran.« Dann legte er den freien Arm um Stars Schultern und drückte sie kurz, er sagte: »Hey«, ganz mitgerissen von der bedächtigen Motorik des Moments, »wollen wir nicht runter zum Fluß, uns eine Decke unter den Sternen ausbreiten und eine Nummer schieben – wir drei hier, meine ich? Hast du das drauf?« Sein Blick lag auf der tanzenden Frau, folgte ihren Kurven hinauf und hinunter. »Das wär doch echt riesig, oder?«
    Und nun die Wahrheit: Star hatte es nicht drauf. Und entgegen allem, was sie sich vormachte, hatte sie es auch in jener Nacht im Tipi nicht draufgehabt. Das war Ronnie gewesen. Ronnie hatte auf sie eingeredet, bis sie sich vor dem anderen Typ ausgezogen hatte – oder nein: Ronnie hatte sie so lange beschämt, bis sie es tat. »Du willst doch keine verklemmte bürgerliche Fotze sein wie deine Mutter, oder etwa doch?« hatte er gefragt, ein grimmiges Raunen in ihrem Ohr. »Oder wie meine Mutter, Scheiße noch mal. Komm schon, das geht in Ordnung, der menschliche Körper ist schließlich was völlig Natürliches – ich meine, was soll denn das?«
    Der andere Typ – seinen Namen hatte sie nie erfahren – glotzte sie an wie einen Film, den er zum erstenmal sah. Er hockte im Yogasitz da, die reinste Verkörperung von Frieden und Liebe, aber es war klar zu sehen, daß er innerlich total

Weitere Kostenlose Bücher