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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sie hingehören. Andrea fährt mit dem Olfputt nach Orsonville und bringt sechzehn ausgemessene und vorgeschnittene Fensterscheiben mit, und sie handhabt den Kitt wie ein Glaserlehrling oder vielleicht auch der Glasermeister persönlich. Ob ich Zement anrühren kann? Klar kann ich das. Und bald habe ich die herumliegenden Ziegelsteine vor dem Haus eingesammelt und damit einen neuen Kamin gebaut, so daß wir im Winter vor dem Feuer sitzen können, den guten Rotwein schlürfen und Rindfleisch kauen, auf den Wind horchen, der in hohlen Stellen pfeift, und dem Gewisper des Schnees. An Feuerholz wird es uns nicht mangeln, das steht fest.
    Die Leute von früher sind noch immer hier, mitten in der Verwüstung wohnen sie in frisch gedeckten Hütten, an den Donnerstagen trifft man sich in der Lodge zum Überraschungsabendessen, viel mehr als Zeit besitzt hier keiner mehr. Aber mit der Hilfe der gedrungenen Männer und ein paar anderer Nachbarn gelingt es uns, die Pine Street wieder in einen benutzbaren, wenn auch etwas rumpligen Zu- und Abfahrtsweg zu verwandeln, und wir schaffen sogar den größten Teil dieses Baumes von unserem Dach herunter. Noch besser: Andrea läßt ein bisher ungeahntes Talent aufblühen – als Mädchen in Montana hat sie von ihrem Vater gelernt, wie man Langschindeln aus Hartholz spaltet. »Gar nicht so schwer«, sagt sie, und schon steht sie draußen vor dem Haus, spuckt sich in die schwieligen Handflächen und schwingt die Axt hoch über den Kopf. Und vergessen wir auch nicht General Electric. Sie haben uns angeschlossen – ein dünnes schwarzes Kabel, das in einem Graben entlang der Straße verläuft, nicht viel mehr als eine lange Verlängerungsschnur –, und so haben wir jetzt Strom, das Haus leuchtet im Dunkeln wie eine himmlische Erscheinung, die in einem Nest aus umgestürzten Bäumen und den tiefen Schatten der Nacht auf der Erde gelandet ist.
    Und da ist noch etwas. Der Wald – dieser Wald, unser Wald – kehrt zurück, die Schößlinge neuer Bäume erheben sich aus dem Friedhof der alten, Espen schütteln ihre Blätter mit einem Geräusch, das wie Applaus klingt, Weiden säumen buschig die Wasserläufe. In den Nächten hört man die Eulen schreien und gleich danach den kehligen Ruf der Coyoten, die sich den Hauptgang ihrer nächsten Mahlzeit besorgen. Eichhörnchenjäger haben wir noch keine getroffen, auch keine anderen Survival-Freaks aus der Stadt – und das ist uns nur recht so.
    Dann kommt ein lauer, blasser Abend mitten im Sommer, die Wildblumen auf den Wiesen stehen in brennender Blüte, unten am Bach halten Kröten und Baumfrösche ihren Sängerwettstreit ab, und meine Frau und ich wandern Arm in Arm die leicht abfallende, jetzt wieder offene Straße entlang, Petunia trottet neben uns her an einer geflochtenen Lederleine, die ich in einem Schrank im Keller gefunden habe. Sie lebt sich recht gut ein und ich auch, denn ich habe genug von Widersprüchlichkeiten. Den Maulkorb brauchen wir nicht mehr, ebensowenig wie einen Käfig. Sie schläft am Fuß unseres Bettes zusammengerollt auf dem Läufer, hat keine Erinnerung an ein anderes Leben in ihrem Canidenhirn. »Hierher«, befehle ich ihr. »Sitz. Platz.«
    »Probier mal, ob sie ›bei Fuß‹ versteht, Ty«, sagt Andrea, und ich suche in meiner Tasche nach einem Kauknochen, dann spreche ich extra leise – »Petunia, bei Fuß«, sage ich –, und sie spitzt die Ohren und setzt sich dicht neben meinem Fuß auf den noch warmen Asphalt.
    In diesem Augenblick taucht das Mädchen auf, ganz in Schwarz gekleidet, die Schultern leicht hängend, große Schritte, hochgeschnürte schwarze Stiefel, das Haar von der Farbe wie eine Höhle um Mitternacht. Sie hält den Kopf gesenkt, sieht auf ihre Füße und bemerkt uns erst, als sie uns beinahe umrennt. »Oh, hallo«, sagt sie, weder erschrocken noch überrascht, und ich sehe das Glitzern des dünnen silbernen Ringes, den sie sich durch den linken Nasenflügel gestochen hat. Wie alt ist sie? Ich bin schlecht im Schätzen, aber ich würde meinen, dreizehn oder vierzehn. »Ihr müßt die neuen Leute hier sein, richtig?« fragt sie, und sie hat einen Trällerton in der Stimme, der mich siebenunddreißig Jahre in die Vergangenheit trägt.
    Andrea schenkt ihr ein Weltklasselächeln. »Wir sind die Tierwaters«, sagt sie. »Ich bin Andrea, und das ist Ty.«
    Das Mädchen nickt. Sie betrachtet jetzt Petunia, schürzt die Lippen ein klein wenig. »Ist das da nicht ein, wie nennt man die noch, ein

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