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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Frau an der Kasse ablenkten, und jede von ihnen hatte irgendwas für sich geklaut – einen Kamm, eine Packung Kaugummis oder Schokolinsen –, als wären es Trophäen. Nicht daß sie die Nerven nicht aufbrachte – sie war eben so erzogen worden, daß man das Eigentum von anderen respektierte, immer das Rechte tat und das Rechte dachte und ein moralisch hochstehendes, braves katholisches Mädchen zu sein hatte. Aber jetzt stand sie vor den Kühlregalen eines Supermarkts knapp außerhalb von Seattle und rauchte eine Zigarette vor der Käseabteilung, und die Taschen, die sie ins Futter ihres Mantels genäht hatte, waren vollgestopft mit edlem ausländischem Käse, mit Gouda und geräuchertem Cheddar und Jarlsberg, wobei es sie auch nicht weiter scherte, daß draußen siebenundzwanzig Grad waren und niemand sonst auf der Welt einen Mantel anhatte, nicht mal einen Pullover.
    Reba und Verbie schoben einen Gang weiter ihren Wagen vor sich her, schön gemächlich, und an der Kasse würden sie ihre Essensmarken vom Sozialamt gegen frisches Gemüse, Vollweizenbrot und Familienpackungen mit Reis und gelben Bohnen tauschen, jetzt aber steckten sie verstohlen Dose um Dose Thunfisch, Krabbenfleisch und Artischockenherzen in ihre Handtaschen, die so sorglos an ihren Schultern baumelten. »Das ist ein Familiending«, hatte Reba erläutert, als sie über den asphaltierten Parkplatz geschlendert waren, »die Familie ernähren ist das einzige, was zählt. Dieser Laden, die gesamte Kette, ist schließlich Teil des Establishments, hier heißt es die gegen uns, das sind doch ein Haufen Millionäre, die irgendwo in ihrem Firmenhauptquartier sitzen und deren Lebenszweck darin besteht, die Leute über den Salatpreis abzulinken. Vergießt ja keine Träne für die.« Ronnie, der die drei in seinem Studebaker hingefahren hatte, konnte ihr da nur beipflichten. »Scheißfaschisten«, war sein Kommentar.
    Trotzdem raste ihr Herz, während sie an der Zigarette zog und so tat, als erwöge sie den Kauf der Packung Haferflocken in ihrer Hand, die Stirn furchte und die Augen ob der essentiellen Frage der Ausgabe von eins neunundsechzig für 100 Prozent natürlichen Rollhafer zu Schlitzen verengte. Sie bemerkte den Mann im bügelfrischen weißen Oberhemd und der Fliege erst, als er schon dicht neben ihr stand. »Alles in Ordnung bei Ihnen?« fragte er.
    Sie sah ihm in die Augen – ein verwaschenes Grau in einem rosafarbenen Gesicht, mit fettig glänzendem Haar, das präzise gescheitelt war wie auf Fotos in den Schaufenstern von Friseuren. Er war fünfundzwanzig, hatte seiner Freundin ein Kind gemacht, mit der Highschool aufgehört und arbeitete in diesem Laden, seit er sechzehn war. Oder so ähnlich. Er gehörte zur Spießerwelt, und das war alles, was zählte. Er war der Feind. Star zuckte kein bißchen zusammen, obwohl ihr Herz das reinste Schlagzeugsolo trommelte. »Nein«, sagte sie, »nicht ganz«, und sie konnte Reba und Verbie sehen, die im Nachbargang ihre Antennen einzogen – sie war nun ganz auf sich selbst gestellt. »Ich suche nämlich nach einem wirklich nahrhaften Müsli für meine Tochter. Ich will nicht, daß sie diesen Dreck ißt, den wir als Kinder gekriegt haben, Sugar Pops und Frosted Flakes und so Zeug. Deshalb dachte ich, vielleicht Haferflocken. Einfach reine Haferflocken. Mit Milch.«
    »Wie alt?« Er lächelte selig, ganz der dienstfertige Angestellte, der sich eine informierte Kundin vorknöpfte.
    »Was?«
    »Na, Ihre Tochter – wie alt ist sie?«
    »Ach, die ...« Um Zeit zu gewinnen, erfand sie zunächst einen Namen. »Jasmine? Ich hab sie Jasmine genannt, ist das nicht ein hübscher Name?«
    »O ja«, sagte er. »Sehr hübsch.« Kurze Pause. »Hier drin kann’s wirklich kalt werden, nicht?«
    Einen Moment lang war sie völlig verdutzt. Kalt? Wovon redete er? Dann sah sie an ihrem Mantel hinunter, zu dem Mann zurück, und das Herz rutschte ihr in die Hose. »Ja, ich bin da sehr empfindlich«, sagte sie schließlich und versuchte, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. »Ich komm aus dem Süden, aus so einer kleinen Stadt in Arizona. Yuma? Je davon gehört?« Kannte er nicht. » Johnny Yuma ?« versuchte sie es mit einem bekannten Song. Nichts. Sie zuckte die Achseln. »Das ist, weil Sie hier diese vielen Kühlschränke laufen haben, beim Fleisch, bei den Milchprodukten ...«
    Er nickte nur, und da wurde ihr klar, daß er sie durchschaut hatte, daß er genau wußte, was sie tat, daß er das zehnmal pro Tag erlebte. Vor

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