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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Quarantäne?«
    »Muscheltoxin«, sagte Alfredo. »Rund vierhundert Menschen sind in San Francisco dran gestorben, irgendwann um die Jahrhundertwende war das, glaub ich. Es gibt da Organismen, die in gewaltiger Konzentration auftauchen, wie eine Algenflut, sobald die Wassertemperatur einen bestimmten Wert übersteigt – das passiert im Sommer, immer nur im Sommer –, und alle Pfahlmuscheln, Miesmuscheln und so weiter reichern den Giftstoff aus diesen Kleinstlebewesen in ihrem Fleisch an, und den Muscheln schadet das auch gar nicht, aber uns.«
    »Ihr wißt ja, die CIA?« warf Jiminy ein. Sein Gesicht war ein sonnenheller Keil aus Nase, Kiefer und einem hellen, strahlenden Auge, umrahmt von seinem dichten Haar. Er war aufgeregt, überglücklich, unendlich witzig. »Die haben diese Auftragsmörder, die tun das Zeug auf eine Nadel und piken einen irgendwo auf einer belebten Straße damit – nur ein kleiner Stich, den man kaum spürt, und schon ist man tot.«
    »Totale Lähmung«, sagte Reba. »Als erstes die Finger und Zehen, dann die Extremitäten als Ganzes, bis man völlig bewegungsunfähig ist und sich weder rühren noch etwas fühlen kann ...«
    »Genau«, sagte Alfredo, »und dann erfaßt es die inneren Organe.«
    Inzwischen lag ein herrlicher Duft in der Luft, das süße, speicheltreibende Aroma von Muscheln im eigenen Saft mit Butter und Zitrone, Salz und Pfeffer und vielleicht einem Hauch Estragon. Aber Ronnie stand nun nicht mehr an einem Picknicktisch auf einem Campingplatz inOregon zu zwei Dollar die Nacht, nein, er saß in einem Käfig im Zoo, und alle diese Leute – seine Freunde, seine Mitstreiter, seine Brüder und Schwestern – triezten ihn mit spitzen Stecken durch die Gitterstäbe. »Blödsinn«, sagte er zum drittenmal. »Das glaub ich dir nicht.«
    »Glaub’s mir besser«, sagte Alfredo und wandte sich zum Gehen, und er nahm eine ganze Wand von Gesichtern mit sich. Merry sah aus, als hätte man sie einen Felsen hinuntergestürzt, und Jiminy schien auf ein Zeichen zu warten, um sich auf alle viere hinunterzulassen und wie ein Hund zu bellen.
    Alfredo. Giftstoffe. Quarantäne. Ronnie gab darauf einen Scheiß – das war absoluter Quatsch, nur ein weiterer Schlag gegen ihn, als würde es Alfredo fertigmachen, wenn er ihn mal für irgendwas loben müßte. Er rührte im Topf, fischte eine Muschel heraus und legte sie auf die Tischplatte. Sie war perfekt und zart – man durfte sie nicht einen Herzschlag zu lange kochen, sonst kaute man Leder –, die schillernde schwarze Schale klaffte auf und gab das rosaorangene Fleisch im Innern frei, und er wollte es Merry zeigen und seinen Muschel/Muschi-Spruch loswerden, wonach das Fleisch und die Lippen der Muschel einen bestimmten Teil der weiblichen Anatomie ähnelten, weshalb die Medizinstudenten oft gebrühte Miesmuscheln sezierten, weil die Originale schwieriger zu kriegen seien, aber Merry war schon weg, hatte sich bei Jiminy eingehakt und war durch den Staub verschwunden, um ihre Ration von altbackenem Brot mit Erdnußbutter zu fassen.
    Nur Angela, Verbies Schwester mit den engstehenden Augen und dem laternengroßen Mund, blieb bei Ronnie, um zuzusehen, wie er aus den beiden Schalen – zweischalige Mollusken , an diesen Terminus erinnerte er sich aus dem Biounterricht von Mr. Boscovich, das waren sie, richtig leckere zweischalige Mollusken – das glänzende Muschelfleisch herausbrach und sich versuchsweise auf die Zunge legte. »Du willst das doch nicht wirklich essen?« fragte sie, und er hätte ebensogut einen Zirkusclown abgeben können, der die Vorderzähne über der bebenden Kehle des zappelnden Hühnchens bleckte, während das Publikum den Atem anhielt. Natürlich würde er es essen, gar keine Frage.
    Es dauerte längere Zeit, seine Zunge rollte das Muschelfleisch eine Weile im Mund herum, ehe er auch die Zähne ins Spiel brachte. Also, was sollte daran schlecht sein? Alle Aromen waren da, Butter, Estragon, das Meer, und der Geschmack war prima, geradezu köstlich – es war die beste und frischeste Muschel, die er je gegessen hatte, oder doch nicht? Er kaute nachdenklich. Und dann spuckte er den seltsam gefärbten Klumpen in die hohle Hand und schleuderte ihn in die Büsche.

19

    Star hatte noch nie im Leben etwas gestohlen, nicht mal mit Zwölf oder Dreizehn, als sie alle möglichen Grenzen überschritt und für eine Puderdose oder einen Eyeliner hätte sterben können und außerdem sowieso niemand hinsah, weil ihre Freundinnen die alte

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