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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Hütten, kein Geräusch zu hören außer dem Knirschen seiner Stiefel auf dem kläglich nachgiebigen Schnee. Pan griff noch einmal unter den Parka, um den Schritt seiner Hose zurechtzurücken – aber kein Jucken, noch nicht –, dann marschierte er los, über die gefrorene Fläche des Flusses.

28

    Die Luft war frisch, und es tat ihm gut, hier draußen zu sein, er atmete tief durch und bewegte sich bewußt durch die Landschaft, als gehörte er hinein, so vital wie die Wölfe, die Hasen und die Elche, und es tat auch irre gut, der abstumpfenden Gemeinschaft von Drop City wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen. Den meisten der anderen reichte es, mit einem Kartenspiel, einem Skizzenblock oder einer Gitarre herumzusitzen, während die Stunden dahinraschelten wie abgeworfene Haut, und wozu die Eile, Mann, bleib doch mal cool, aber Marco besaß eben eine völlig andere Natur. Er kannte keine Entspannung. Er fühlte sich gelangweilt, stranguliert. Er mußte hinaus, mußte die Landschaft erkunden, seine Sinne schärfen, etwas dazulernen . Die ausgewaschenen Gesichter von Drop City sahen überrascht zu ihm auf, der Wind heulte in den Bäumen, das Feuer war geschürt, das Risotto bald fertig, und sogar der Hund fühlte sich zu schlaff, um den Kopf vom Boden zu heben. Du willst wirklich da raus? Bei dem Wetter?
    Sechs von ihnen schrieben an einem Roman, oder vielleicht waren es sogar sieben, je nachdem, ob das vordergründige, etwas zusammenhanglose Skript in Alfredos Notizbuch sich am Ende als Belletristik oder als Traktat über die Freuden des Kommunelebens erweisen würde – Alfredo war sich noch nicht sicher, aber er würde Zeit genug dafür haben, es in die eine oder andere Richtung auszuarbeiten, sobald erst mal der Vorhang über dem Tageslicht fiel, und dieser Moment stand nahe bevor: am einundzwanzigsten November war es soweit, laut Sess Harder. Es wurde auch eine Menge gestrickt. Man spielte Scrabble, Dame und Schach. Und natürlich fand man die Zeit für Schlittenfahrten am nahen Hang. Mit den drei Paar Schlittschuhen, die es auf Drop City gab, organisierte man Eispartys auf dem Fluß, es wurden Schneefreaks gebaut, mit Weidenzweigen als Haaren, einem abgelegten Stirnband um den Kopf und vielleicht noch einem schillernd grünen Hemd oder einer bestickten Weste dazu. Spiel und Spaß. Es war alles Spiel und Spaß.
    Der Himmel hing tief. Am Vormittag waren die Temperaturen nicht über minus zehn gestiegen, langsam und schwerfällig schob sich die blaue Linie im Thermometer hinauf, Sprosse für Sprosse. Vielleicht lag sogar Schnee in der Luft, wenn er nur genug davon verstehen würde, um es zu spüren, es zu riechen, so wie Sess Harder es konnte oder Iron Steve oder der alte Tim Yule, der bei jedem Wetter draußen auf der Veranda seines kleinen Fachwerkhauses in Boynton saß. Marco fühlte den Sog von Drop City nachlassen, während er sich flußabwärts entfernte, und er blickte durchaus zurück, zwei- oder dreimal, einfach nur, um zu bestaunen, wie die Gebäude der Ödnis trotzten, um die ineinander verschlungenen Rauchfahnen aus den vier Schornsteinen himmelwärts steigen zu sehen und dem schwächer werdenden Krakeelen von Che und Sunshine zu lauschen, die als klitzekleine Gestalten in ihren handgenähten Schneeanzügen und den roten Gummistiefeln über den Vorplatz flitzten.
    Er hatte Ronnie eine Woche gegeben, und eine Woche war eigentlich schon zu lange. Joe Bosky und Pan mochten Fleisch genug haben, und Sess Harders Räucherkammer war ebenfalls gefüllt, und wahrscheinlich war jedermann in Boynton reichlich versorgt, genau wie die Wochenendjäger aus Fairbanks, Anchorage und von weiter südlich, aber auf Drop City hatten sie nichts. Und das war ein Problem, ein echtes Problem, denn sehr bald wäre es zu spät zum Jagen, die Elche wären zu sehnig, und trotz aller Proteste der Vegetarier brauchte die Kommune Fleisch, um bis zum Frühjahr durchzuhalten, sonst würden sie irgendwann die Mäuse unter den Dielen fangen und ihre Schuhe kochen müssen wie weiland Charlie Chaplin. Ende Oktober, kurz vor Halloween, waren Star und er von einem Geräusch aufgewacht, als würde jemand Zweihundert-Liter-Fässer mit Diesel den Hang hinabrollen, ein dumpfes Rumpeln und Krachen, das das gesamte Blockhaus erzittern und ihn aus dem Bett hüpfen ließ, um auf Strümpfen zur Tür zu hasten. Auf dem Kies der Sandbank kämpften zwei Elchbullen gegeneinander, gewaltige bebende Wagenladungen von Fleisch waren das, die da auf

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