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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihren lächerlich dünnen Elchbeinchen dahinstaksten, und sie verschwendeten keinen Gedanken auf ihre Umwelt, sondern hatten nur sich selbst im Kopf – und die Elchkuh, die hinter ihnen durch das Gelb der Weidenzweige vage sichtbar war. Aber Marco stand mit völlig leeren Händen da, wie der Lehrling eines Steinzeitjägers, und was sollte er schon tun, Knüppel nach den Tieren werfen vielleicht? Auf ihren Rücken hechten und ihnen nacheinander die Kehlen durchschneiden, während der Rest der Sippe händeringend zusah? Ronnie hatte die Gewehre kurzerhand mitgenommen, als gehörten sie ihm allein, und er würde sie zurückgeben müssen. Das war keine Frage von Besitzrechten oder überhaupt von Recht und Unrecht – es ging ums nackte Überleben.
    Bei Sess und Pamela stieg Rauch aus dem Schornstein, aber vor dem Haus bewegte sich nichts – und das war in Ordnung so, denn Marco wollte erst auf dem Rückweg vorbeischauen, mit den Gewehren über der Schulter. Sess war sein Ratgeber, sein Mentor, der Mann, der ihn in die tiefgründigen Geheimnisse des Lebens im hohen Norden einweihte, und es war schon peinlich genug gewesen, vor ihm zugeben zu müssen, daß sie nicht mal ein einziges Gewehr besaßen, das diese Bezeichnung verdient hätte; Deuce hatte ein Zweiundzwanziger-Kleinkaliber, mit dem man Kaninchen und Erdhörnchen schießen konnte, aber das war’s dann auch schon, und er biß sich lieber in den Arsch, ehe er noch einmal Schwäche vor Sess zeigte. Also marschierte er am Haus der Harders vorbei, und obwohl einer der Hunde kurz anschlug, öffnete niemand die Tür, und kein Gesicht erschien am Fenster.
    Es lag nicht viel Schnee – gerade genug, daß der Boden weiß war –, und Sess hatte ihm schon mal gesagt, er solle hier kein tiefverschneites Weihnachtsmannland erwarten, oder wie die Leute im Süden sich Alaska eben so vorstellten. Es war keine Postkartenlandschaft. Es waren nicht die Cascades, und es war nicht die Sierra Nevada. Sie waren im Innern Alaskas, und das war so ziemlich die trockenste Gegend des ganzen Bundesstaats: viel mehr als dreißig bis vierzig Zentimeter Niederschlag pro Jahr fielen hier einfach nicht. Die Sache war nur, diese Niederschläge blieben Ewigkeiten liegen . Im Winter taute nie etwas weg, und im Sommer bildete das bißchen Regen Pfützen über dem Permafrostboden, was wiederum ein Paradies für Moskitos schuf – und für die Stechfliegen und die Kriebelmücken und den ganzen Rest der surrenden und stechenden Welt. Marco stapfte weiter und suchte den Schnee nach Fährten ab, versuchte das Land zu lesen, so wie Sess es tat. Es war jetzt wärmer, in den einstelligen Minusgraden, und er öffnete seinen Parka und ließ die Enden des Schals herabhängen. Nach einer Weile begann er zwischen den Zähnen zu pfeifen, eine schrille Version von »I Am a Child«, und wo hatte er den Song nur her? Er hatte in letzter Zeit öfter mal auf der Gitarre herumgezupft – auf Geoffreys Gitarre –, und das wäre vielleicht eine gute Melodie zum Einstudieren, dachte er sich, nicht allzu kompliziert, eine süße, trällernde Tonfolge von Akkorden, aber der Vokalpart – hm, beim Singen mußte er sich ziemlich anstrengen. Oder er sang es eine Oktave tiefer, das könnte reichen.
    Seine Laune veränderte sich jäh, als er um die Flußbiegung kam und den Woodchopper Creek sah. Jetzt pfiff er nicht mehr, und er dachte auch nicht ans Gitarrespielen. Er war noch nie bei Bosky gewesen und wußte nicht, was ihn dort erwartete – abgesehen von Unmut, Widerworten und einem wahren Gewitter aus Lügen, Ausreden und Winkelzügen von Pan. Er stellte ihn sich vor – Pan, Ronnie –, mit seiner typisch geschürzten, etwas verloren wirkenden Oberlippe, dem weichen Kinn und den Augen, die es immer schafften, verletzt und gekränkt zu blicken, einen aber ständig abcheckten, so als würde er keinen Moment damit aufhören, die eigene Wirkung auf andere zu bewerten, Ronnie der Dieb, Ronnie der Meuchelmörder. Marco machte sich hart. Atmete tief ein, bis seine Lunge brannte. Und er ging auch nicht mehr, sondern er marschierte, marschierte wie ein Soldat auf dem Weg in die Schlacht, den Bach entlang, über den Vorplatz und die Veranda hinauf, und er war viel zu aufgebracht, um überhaupt zu bemerken, daß Joe Boskys unlackierte Cessna 180 mit den Landekufen und der aufgemalten schwarzen Registriernummer nirgends zu sehen war.
    Er klopfte an, und das war an sich eine alberne Geste, denn hier klopfte niemand an, es gab keine

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