Grün war die Hoffnung
Innentasche des Parkas und sagte: »Leg das weg, Alter. Leg das Gewehr weg und verpiß dich, bevor du verletzt wirst, und ich sag dir eins: Reiz mich nicht, Marco, reiz mich bloß nicht.«
Doch ihn kümmerte all das nicht mehr, ihn kümmerten keine Drohungen und auch nicht Ronnie und Bruce und die minimale und weiter schrumpfende Bedeutung, die sie in seinem Leben besaßen, deshalb hängte er sich die Springfield über die Schulter – ganz ruhig, als würde er sich in der vertrauten Umgebung seines Schlafzimmers ankleiden –, und dann nahm er auch die Winchester vom Haken und hängte sie sich um. Er betrachtete Ronnie lange, der in seiner Unterwäsche am Ofen stand, in der Hand die Pistole, die er den ganzen Sommer hindurch am Oberschenkel herumgetragen hatte und die er jetzt ausgestreckt hielt, zitternd und mit krummen Fingern, an denen die Ringe das Licht zerstäubten. »Reiz mich nicht!« wiederholte Ronnie und ließ dabei die andere Hand zum Schritt seiner Unterhose wandern, wo er sich heftig zu kratzen begann, eine unbewußte Bewegung, die einem völlig anderen Imperativ gehorchte.
Und plötzlich war das Ganze total witzig, ein Riesenspaß, komischer als zehn Tortenschlachten, und ob wohl irgendwer eine begnadetere Show hätte hinlegen können? Ronnie hatte seine Knarre in der Hand, und gleichzeitig kratzte er sich, Ronnie im Unterzeug, mit Schlaf in den Augen und plattgedrückten Haaren, wie er Reiz mich nicht schnarrte und sich dabei am Sack kratzte. Marco ging durch das Zimmer, zuckte mit den Schultern, um das Gewicht der Gewehre auszugleichen, öffnete die Tür zum Tageslicht und blieb dort noch kurz stehen. »Mach’s gut, Pan«, sagte er, und dabei hätte er beinahe losgelacht. »Und du auch, Bruce«, rief er noch hinein, »bis bald wieder, Jungs. Und danke für alles.«
Draußen schwand allmählich das Licht. Die Wolken hingen bleich und wie geronnen über den Baumwipfeln. Sein Atem hing gefroren in der Luft, aber er bewegte sich weiter und ließ ihn hinter sich, ein Wölkchen nach dem anderen. Er war schon gut einen Kilometer gelaufen, da fiel ihm ein, in den Kammern der Gewehre nachzusehen, denn was nützten sie schon, wenn nichts zum Schießen drin war? Zwei Patronen in der Springfield und eine in der Winchester. Er hatte ein blödes Gefühl, aber er konnte schlecht zurückgehen, noch mal anklopfen und von Ronnie auch die Munition einfordern, die er sicherlich im Laden in Boynton auf Vorrat gekauft hatte, wo sie auch für Marco oder jeden anderen zu haben wäre, sobald irgendwer das nächstemal Lust hatte, die rund vierzig Kilometer in die Stadt und zurück auf sich zu nehmen. Zwei Gewehre, drei Kugeln. Als er damals in Seattle mit Norm den Onkel besucht hatte (und es war genauso gewesen, wie er es sich auf dem Acidtrip damals ausgemalt hatte, ein echtes Déjà-vu: der alte Mann im Bett und an der Wand seine Schneeschuhe, und obwohl Marco mit Karma oder Mystizismus oder überhaupt irgendeiner Vorausbestimmung nicht viel am Hut hatte, reichte es aus, ihm auch jetzt noch einen kalten Schauer einzujagen), hatte Onkel Sender nebenbei herumgebrabbelt, er habe nur zwei Schuß pro Jahr abgegeben, nämlich einen für seinen Elch und einen für seinen Bären. Na schön. Zum erstenmal besaß Marco jetzt die Mittel, Fleisch zu besorgen. Und als er die Gewehre wieder schulterte und aus der Hocke hochkam, lauschte er in den Wind und studierte den Schnee mit den Ohren und Augen eines Jägers.
Irgendwann – er konnte später nicht mehr genau sagen, ob er schon eine halbe Stunde vom Woodchopper Creek hinter sich hatte oder weniger – sah er Elchfährten im Schnee am Südufer des Flusses, die sauberen Hufabdrucke, die abgefressenen Weidenzweige, ein dunkles Häufchen Elchlosung auf dem unbeschriebenen Blatt des Schnees, und er bog sofort vom Eis ab, um die Spur zu verfolgen. Sie führte ihn landeinwärts, und es war nicht nur ein einzelner Elch – zwei, vielleicht auch drei, je nachdem, wie man die Fährten las, und da war er kein Experte, das gab er bereitwillig zu. Aber er hatte schon Rotwild gejagt, damals in Connecticut, und ein Elch war ja auch nur so was wie Wild, wenn auch vielleicht sechsmal so groß wie ein Reh und recht gefährlich, durchaus imstande, sich gegen seinen Widersacher zu wenden und ihn zu zerfleischen, ihn richtiggehend zu zermalmen, aber letztlich war es doch ein Stück Wild. Er nahm das schwere Jagdgewehr mit den beiden Patronen von der Schulter und schob sich möglichst behutsam durch
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