Grün war die Hoffnung
in den Hörsaal strömten und ihre übermotivierten Hormone mit den Stoffwechselstörungen in Konflikt treten ließen. Ihre Mutter war ein Morgenmensch gewesen. Und Reba – Reba war auch so ein Morgenmensch.
Star saß vor dem Tisch im Versammlungsgebäude, bereitete mal wieder eine Mahlzeit für die ganze Kommune zu – Eintopf aus getrocknetem Lach, mit Reis als Stärkemittel, dazu Tomaten und Erbsen aus Riesendosen, um etwas Farbe dazuzumengen – und lächelte vor sich hin, während Merry die Zwiebeln hackte und Maya mit dem Messerrücken auf den Dörrfisch einhämmerte. Nachtmenschen. Morgenmenschen. Hier oben besaß dieser Unterschied kaum eine Bedeutung, da jetzt sowieso praktisch pausenlos Nacht war, die Sorte Nacht, die sie einem in den Casinos von Las Vegas vorgaukelten, damit man nie aufzuhören brauchte, ihnen sein Geld rüberzuschieben, die Nacht der Kriegsgefangenen, denen man schwarze Säcke über den Kopf zieht, eine schwarze, endlose Nacht. Es war drei Uhr nachmittags, das jedenfalls behauptete der einzige Zeitmesser, über den Drop City verfügte, Alfredos Timex mit dem fünf Zentimeter breiten Lederarmband. Irgendwer hatte gesagt, draußen falle Schnee. Jemand anders meinte, es schneie bereits seit Stunden. Der Hund sah kurz auf und legte dann den Kopf wieder nieder, wie eine Last, die ihm zu schwer geworden war. Im Raum hingen die Leute herum, in ungewaschenen Kleidern und mit filzigem Haar, alle waren verstrubbelt, verschwiemelt und deprimiert, und das allgemeine Energieniveau bewegte sich um Null – es sah nicht einmal danach aus, als könnten sie die Gabel zum Mund heben, wenn es doch mal Essen gab, und Star hatte die flüchtige Phantasie, sie müsse sie allesamt füttern und dann noch wickeln und einen nach dem anderen zu Bett bringen. Wenn sie sprachen, dann nur im Flüsterton, als wollte keiner mehr die eigenen Gedanken laut äußern, und in der Enge des Versammlungsgebäudes herrschte ständig ein insektoides Schwirren von tonlosen Stimmen, die am Gewebe des Nachmittags sägten. Die Gesichter waren ausdruckslos, die Blicke leer. Es war eindeutig ein Tag zum Bekifftsein, und so etwas nahm man auf Drop City sehr ernst. Star trieb selbst einigermaßen dahin, wie die Pappelbäusche auf dem Fluß, damals, als es noch einen Fluß gegeben hatte – und Pappelbäusche. Sie erhob sich, um Holz nachzulegen und im Topf etwas Öl zu erhitzen. Drei Schritte waren es vom Tisch zum Ofen, aber dabei sah sie das bleiche Stieben am Fenster wie eine Bildstörung in einem Schwarzweißfernseher. Marco war irgendwo da draußen, dachte sie. Er sollte inzwischen zurück sein.
Merry sagte gerade: »Kein Wort rede ich mehr mit Jiminy, das schwör ich. Nicht bis er mir erzählt, wer es war, und ich weiß es sowieso schon, ich meine, da hätte ich doch blind sein müssen ...«
Maya, beim Schneiden: »Dunphy.«
»... aber ich will es von ihm hören, die Wahrheit, nur einmal. Nur ein einziges Mal möchte ich die Wahrheit aus seinem Mund hören.«
Beide sahen zu Lydia hinüber, die in ihrem Pelzmantel an der Wand saß und in einer der Zeitschriften blätterte, die sie als Geschenk für die Kommune mitgebracht hatte – Mademoiselle, Cosmopolitan, Esquire, Playboy, Rolling Stone –, ebenso wie kiloweise Schokolade, französische Edelseife und kanadischen Whiskey. Und die Filzläuse. Die auch.
Star warf eine Handvoll Knoblauchwürfel in das heiße Öl, und alle merkten sichtbar auf, denn diesem Duft konnte sich niemand verschließen. Dann holte sie die Zwiebeln von Merry. Hier oben konnte man sich zu Tode frieren, dachte sie – hatte sie da nicht mal in der Highschool was gelesen, die berühmte Geschichte von diesem Greenhorn, einem Mann, der neu in Alaska war, kein Feuer in Gang bringen konnte und dann versuchte, seinen Hund umzubringen, damit er wieder warme Hände bekäme. Der Hund war schlauer als der Mann, das wußte sie noch. Aber er war ein Greenhorn, darauf kam es an, ein Grünschnabel, der keine Ahnung hatte, wie hart das Land und wie unbarmherzig die ewige Nacht war, ein unerfahrener Anfänger. So wie Marco. Es gab wilde Tiere da draußen im Wald, Wölfe, Bären, und dann dieses rasende schwarze Kreissägenvieh, das durch die Gegend flitzte, als stünde es in Flammen – der Vielfraß, der Bärenmarder oder Järv –, ein erschreckendes Tier, und wenn es imstande war, innerhalb von zehn Sekunden eine Ziege auszuweiden, was konnte es dann mit einem Menschen anstellen? Und hierzulande knallten sich Leute
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