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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weiterreichen? »Alfredo?« sagte sie plötzlich und viel zu laut. »Wie spät ist es jetzt?«
    Alfredo saß oben im Loft bei Bill und Harmony, um gegen den Gewinner der Schachpartie anzutreten. Sie spielten ein Turnier, zwölf Spieler, zwölf Spiele pro Tag, zwölf Tage lang. Wenn das vorbei und der Sieger gekrönt war, würden sie das nächste Turnier beginnen. »Drei Uhr fünfundvierzig«, rief er mit gedehnter Stimme hinunter, die ebensogut einem Ansager im Fernsehstudio gehören konnte, einem Walter Cronkite oder Huntley oder Brinkly. Drei Uhr fünfundvierzig. Die richtige Welt, die mechanische Welt mischte sich ein.
    »Weil Marco, ich weiß nicht, schon seit Mittag oder so weg ist – sollten wir nicht, also ich meine, will denn keiner mal losgehen und nach ihm suchen?«
    Es war zwei oder drei Stunden später, als sich alle zum Abendessen setzten – oder vielmehr, als das Abendessen ausgeteilt wurde, denn Drop City aß nicht mehr gemeinsam. Einerseits gab es gar nicht genug Platz dafür: selbst wenn sie den Tisch von der Wand wegrückten und ringsherum Stühle aufstellten, hatten nur acht Personen bequem daran Platz, falls man den Balanceakt auf einem wackligen Fichtenstamm in sechzig Zentimeter Höhe bequem nennen wollte. Die übrigen schnappten sich einfach einen Teller, häuften Reis, Bohnen oder Pasta drauf und aßen dann auf dem Boden oder im nächstbesten Bett, oder sie kletterten die Leiter zum Zwischenboden hinauf, und all das machte jedem ständig bewußt, wie extrem eng es auf fünfunddreißig Quadratmetern werden konnte. Ein zweiter Grund waren die persönlichen Feindseligkeiten, die seit jeher aus dem Nichts heraus aufflammen konnten, aber nie so leicht wie jetzt, da die Sippe in vier Blockhäusern eingepfercht war und kein kalifornischer Sonnenschein individuellen Groll wegmassierte – und die Bewohner wechselten wie in einem Hütchenspiel mit Menschen so geschwind zwischen den einzelnen Häusern hin und her, daß selbst Star oder Merry nur mühsam auf dem laufenden blieben, wer nun gerade mit wem über Kreuz war. Meistens kamen die Leute einfach herein, luden sich etwas aus dem Topf auf den Teller und verschwanden damit in einem der Häuser. Dies war auch der Grund für eine neue Maxime auf Drop City: jeder war für sein Geschirr selbst verantwortlich. Man kratzte seine Initialen in den Boden der glasierten Teller und Schüsseln ein, und manch einer, zum Beispiel der irre George, hatte sein Geschirrlimit bereits erreicht und mußte nun aus alten Pfirsich- oder Aprikosenbüchsen essen.
    Zum Essen tauchte auch Norm auf, mit Premstar, Reba und den Kindern im Gefolge, aber er war irgendwie anders als sonst. Er stampfte und brüllte nicht herum, er rief auch keinen lauten Gruß in die Runde, sondern zog sich nur mit gesenktem Kopf den Parka aus und reihte sich in die Essensschlange ein. Frisches Vollkornbrot lag oben im Regal über dem Ofen, Butter nahm man sich aus einer großen Dose. Dazu gab es Reis mit Lachs, kräftig mit Sojasauce versetzt, und diverse Limonaden zum Runterspülen, außerdem drei große Zwei-Liter-Krüge mit Tom Krishnas heftigem Eigenbräu und zwei Pfannen voll Brownies. Eine karge Kost, aber wenigstens war genug davon da, und die Vegetarierinnen waren froh, daß Marco einstweilen noch kein Gewehr hatte, denn ansonsten wären jeden Abend zwei Gerichte zu kochen gewesen, eines mit Elchfleisch oder was auch immer, das andere ohne.
    Es schneite immer noch. Star neigte nicht zu sinnloser Sorge oder zu der Paranoia, die bestimmte Sorten und Qualitäten von Marihuana auslösen können – oder vielleicht neigte sie doch dazu –, aber als das Essen auf dem Tisch stand, war sie nervlich ein Wrack. Es gab immer noch keine Spur von Marco. Eineinhalb Stunden dauerte es bis zum Woodchopper Creek, vielleicht zehn Minuten, um seine Sache zu erledigen, und dann wieder eineinhalb Stunden zurück. Drei Stunden und zehn Minuten, und er war jetzt schon sechs Stunden lang weg, wenn nicht länger. Etwas früher am Abend, als der Lachs in der Pfanne brutzelte, hatte sie Merry und Maya dazu gebracht, mit ihr hinauszugehen und seinen Namen in den Schneesturm zu brüllen. Sie hatten Freak mitgenommen, in der Hoffnung, daß er Marcos Witterung aufnehmen würde, und sie waren flußabwärts bis zum Haus von Sess und Pamela gegangen, aber Marco war nicht dort, und die beiden hatten ihn auch nicht gesehen. Pamela sagte, wahrscheinlich sei alles in Ordnung, er könne doch in Boskys Haus geblieben sein, als

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