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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eine Antwort, und dann gehen sie durch den Innenhof, vorbei am Eingang zum Vortragssaal und zu der Tür des Raums, in dem der unglückliche Grizzly ( Ursus arctos californicus , 1924 für ausgestorben erklärt) Wache hält. »Diese vielen Leute – die sind doch nicht alle wegen mir gekommen, oder?«
    »Ich wüsste nicht, wegen wem sonst«, sagt Frieda über ihre Schulter, beugt sich vor, klimpert mit einem Schlüsselbund und öffnet die Tür zu dem kalten, zu hell erleuchteten Raum. Sie bewegt sich schnell, verschränkt die Arme und geht in ihren Joggingschuhen mit federnden Schritten herum, als wollte sie gleich in die Nacht verschwinden. Sie ist nervös, das kann Alma sehen, nervös wegen des zahlreichen Publikums und wegen des Themas und dem, was letzte Woche in Ventura passiert ist. »Aber Sie haben ja alles, was Sie brauchen, oder? Auf dem Podium stehen eine Flasche Wasser und ein Glas. Und ich glaube, wir sollten zehn Minuten später anfangen, weil es ja regnet und damit jeder einen Platz hat.«
    »Ja«, murmelt Alma, »ist gut. Ich muss nur den Laptop an den Projektor anschließen. Und das Mikrofon –«
    »Ich habe den Soundcheck selbst gemacht. Werden Sie nach dem Vortrag Fragen beantworten?«
    Der Grizzly mit den Glasaugen, der früher zur Ausstellung gehörte, jetzt aber aufgrund ungenannter Vergehen in diesen Raum verbannt ist, überragt sie und fletscht stumm die Zähne. Es gibt hier noch andere Ausstellungsstücke: In einer Ecke steht ein großer, steifer Kamm aus Walbarten, auf einem Eichentisch sind Mammutknochen ordentlich aufgereiht und sehen den ins Unwahrscheinliche vergrößerten Resten eines Kentucky Fried Chicken beunruhigend ähnlich, Pfeilspitzen und Tonscherben von Chumash-Gefäßen liegen in einer verstaubten Vitrine, die schräg in den Raum steht – Museumsplunder, der auf die Spenden wartet, die ihn vor dem Schicksal eines ewigen Depotdaseins bewahren sollen. »Ja. Ich meine, deswegen sind die doch gekommen. Die meisten jedenfalls.«
    Frieda sieht sie an. »Wenn irgend jemand, ich weiß nicht, streitlustig wird, entziehen Sie ihm einfach das Wort. Und Bill Braithwaite steht an der Tür, nur für alle Fälle …«
    Das ist der Punkt, wo sie sagen sollte: Keine Angst, ich komme schon zurecht – ich hab so was schon tausendmal gemacht. Aber sie sagt es nicht.
    Hoch aufgerichtet, mit blitzenden Brillengläsern und verschreckten taubengrauen Augen, faltet Frieda die Hände und dreht sich um, unter dem leisen Quietschen von Gummi oder Kunststoff oder was immer es ist, aus dem man heutzutage Joggingschuhe macht. »Na, dann lasse ich Sie jetzt allein. Ich hole Sie in« – sie hebt die Hand und sieht blinzelnd auf eine flache goldene Uhr an einem schnürsenkeldünnen Armband – »sagen wir siebeneinhalb Minuten ab.«
    Es ist warm im Saal, sehr warm. Auch die Stehplätze sind gefüllt, was bedeutet, dass mindestens dreihundert Zuhörer gekommen sind, und die drängen sich auf engem Raum. Die meisten haben bereits gegessen und verdauen jetzt, wandeln Proteine und Kohlenhydrate um und erzeugen Wärme. Und es ist feucht, der Regen prasselt unaufhörlich auf das Dach und läuft mit peristaltischem Gluckern und Gurgeln durch die Regenrinnen. Außerdem ist es November, und darum ist die Klimaanlage des Museums längst abgeschaltet. Während Frieda eine Liste von Ankündigungen verliest – Veranstaltungen, Seminare, Spendensammlungen, Exkursionen, Filme und Diavorträge –, sitzt Alma in der Mitte der ersten Reihe und spürt, wie ihr der Schweiß aus den Poren tritt, sich im Nacken unter der Heizdecke ihrer Haare sammelt und tropfenweise das Rückgrat hinunterrinnt, wo ihr die Bluse bereits an der Haut klebt. Als sie durch den linken Seiteneingang gegangen ist und sich auf ihren Platz gesetzt hat, war sie abermals erstaunt, wie viele Leute erschienen sind, besonders an einem so verregneten Abend, aber sie hat ihren Blick nur schweifen lassen, so dass sie keine einzelnen Gesichter erkannt hat, auch nicht das von Tim, der wohl im überwiegend männlichen Teil des Publikums am hinteren Ende des Saals steht, das sich keine Hoffnung auf einen Sitzplatz machen kann. Vor ein paar Minuten, in dem grünen Raum mit Frieda und dem Grizzly, war sie noch nervös, aber das ist jetzt vorbei. Sie wünscht sich nur – sie hofft –, dass Friedas Begrüßung kurz und knapp ausfällt, damit sie zum Podium gehen und diese Sache hinter sich bringen kann.
    Aber Frieda fasst sich nicht kurz. Nach den ersten stockenden

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