Grün war die Hoffnung
und ruhig atmend da und wirkte, als würde er bis Mittag schlafen, und sie sah keinen Grund, ihn zu wecken. Soll er doch schlafen. Ihr Leben ist nicht einer dieser Weichzeichnerfilme, in denen Paare sich über Frühstückseier und salatschüsselgroße Kaffeeschalen hinweg verliebt anlächeln und anschließend Hand in Hand am Strand spazierengehen – nein, ihr Leben ist echt, und sie hat eine echte Beziehung mit einem echten, lebendigen Mann, der gern länger schläft als sie. Na und? Es tut ihm gut. Tim hat sein Leben, und sie hat ihres. Und wenn ihre Wege sich kreuzen, um so besser.
Draußen löst sich der Nebel bereits auf, die Sonne steht als blasse Scheibe zwischen den Bäumen, bis sie plötzlich einen leuchtenden Strahl durch das Fenster wirft, der die Küche erleuchtet und die aus rostfreiem Stahl gefrästen Bedienungsknöpfe des Herds und das Glas über dem Zifferblatt der Uhr an der Wand aufblitzen lässt. Der Garten erwacht mit einemmal zum Leben. Die Begonien stehen in Flammen. Morgen in Montecito. Sie hat einen trägen Blick auf die Schlagzeile geworfen – Bush und sein Krieg – und das Geschirr in die Maschine geräumt. Um diese Zeit werden am Strand nur ein paar Hundebesitzer und Jogger sein, das hofft sie jedenfalls, und so schlüpft sie in ihre Sneaker und tritt hinaus in den Morgen.
Den Block hinunter, vorbei am Hotel und seiner epikureischen Rasenfläche, die Luft ist kühl und noch frisch, auf der Zufahrtsstraße ist kein Verkehr. Sie überquert die Straße diagonal, auf dem kürzesten Weg zu der Treppe, die zum Strand führt. Sie hat den Tidenkalender nicht im Kopf – keine Zeit für so was, und außerdem lässt sie sich lieber überraschen –, und so freut sie sich, als sie die weite Fläche aus nassem Sand sieht, die sich bis zu den Untiefen mit den dunklen, vom zweimal täglich vorbeiströmenden Wasser glattgeschliffenen Felsbuckeln erstreckt. Ebbe. Bei Flut schlägt die Brandung an die Mauer, und Alma muss den gepflasterten Fußweg auf der Uferbefestigung nehmen. Vom Strand aus sieht man Santa Cruz als langen, braunen Streifen am Horizont. Hier gibt es keine großen Wellen – die laufen parallel zur Küste durch den Santa-Barbara-Kanal –, und darum ist dieser Strand eigentlich nicht besonders interessant. Es ist ein hübscher Strand, kein Zweifel, aber es gibt viele Tidentümpel, und es wird kaum etwas angespült. Abgesehen von Abfall. Und Hundescheiße, sorgsam in Plastiktüten verpackt. Macht sie das wahnsinnig? Und wie. Dass die Leute etwas Natürliches, biologischen Abfall, Fäkalien, das Endprodukt eines tierischen Prozesses in Plastik verpacken, damit zukünftige Archäologen es in tausend Jahren aus einer ehemaligen Müllkippe ausgraben können, ist reiner Wahnsinn. Diese Welt. Diese verrückte, zum Untergang verurteilte Welt.
Sie steht auf dem Strand und erwägt die Optionen – links oder rechts –, bevor sie sich entscheidet, nach rechts zu den Klippen zu gehen, die Santa Barbara an dieser Seite umschließen, in Richtung der Pier und des verrückten Treibens der Zivilisation, um zu sehen, ob sie zwischen den Felsen, die im Lauf der Jahre abgebröckelt und in die Brandung gestürzt sind, vielleicht etwas Interessantes findet. Wenn die Ebbe besonders mickrig ist, wie es jetzt der Fall zu sein scheint, taucht dort ein Riff mit ein paar Tümpeln auf, in denen die üblichen Verdächtigen sitzen: Muscheln, Seeigel, Strandschnecken, Seeanemonen und Einsiedlerkrebse, außerdem vielleicht hin und wieder als Überraschung ein leuchtend blau-weißer Nacktkiemer oder ein gestrandeter Oktopus. In einem Frühjahr ist dort der Kadaver eines jungen Grauwals angeschwemmt worden, mit Bisswunden, die auf einen Weißen Hai hindeuteten, und im vorletzten Sommer, während der Planktonblüte, ist sie auf eine Gruppe von Menschen gestoßen, die ein Seelöwenjunges ins Wasser zerren wollten, das offenbar an Land gekommen war, um sich zu wärmen.
Das Tier war deutlich unterernährt – sie vermutete eine Domoinsäurevergiftung, weil das mit dem Plankton aufgenommene Toxin sich in der Nahrungskette anreichert und mit der Muttermilch in hoher Konzentration abgegeben wird –, und als sie bei der Gruppe ankam, versuchte ein kahlrasierter junger Latino in einem engen T-Shirt, es über die Felsen und ins Meer zu ziehen. Ohne nachzudenken sprang sie hinzu und fiel ihm wütend in den Arm, obgleich er deutlich größer war als sie. In ihrem Kopf ertönte ein Schrei – wieder ein wohlmeinender Tierfreund,
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