Grün war die Hoffnung
unwiderstehliche Fließen von Gliedmaßen und Haaren, diese Lippen, diese Augen, die ihn ansehen, in diesem Moment, auf diesem Deck, auf der Rückseite dieser vulkanischen Insel mit ihrem Saum aus weißer Gischt und ihren Klippen, die die Sonne aufsaugen, als wären sie gerade erst erstarrt. Natalie, seine erste Liebe, war vierzehn, als sie in Mr. Durings Geschichtsunterricht an der Santa Barbara Junior High wie eine Fata Morgana am Nachbartisch auftauchte. Sie stammte aus Plainfield, New Jersey, wo sie auf eine katholische Schule gegangen war und gelernt hatte, Larks und hin und wieder einen Joint zu rauchen, wenn die Nonnen gerade zu tun hatten, was Nonnen eben taten. Sie sah ganz anders aus als Anise – sie war klein, selbst als junge, gerade erst fertige Erwachsene, mit achtzehn, als er sie heiratete, und sie hatte den sizilianischen Teint ihrer Mutter und sah immer aus, als käme sie gerade aus dem Sonnenstudio. Mit ihrem schwarzen Haar und den grünen Augen und dem Ostküstenakzent war sie für ihn eine echte Exotin. Aber Exotik bringt einen nicht weit, und wenn man so jung heiratet – er selbst war erst neunzehn –, geht es selten gut. Und so war es auch bei ihnen. Ihre Ehe hielt zwei Jahre, in denen er einen Teilzeitjob hatte und das Gemeindecollege besuchte. Als er dann mit Hilfe seines Vaters ein Geschäft eröffnete, war sie bereits aus seinem Leben verschwunden. »Ich wette, du warst sexy«, sagt er.
»Wenn ich’s war, wusste ich es nicht.«
»Jaja, erzähl das deiner Großmutter.«
»Ich wusste es nicht. Wirklich.« Sie dreht ihr Glas. Der Fuß hinterlässt einen rosigen, feuchten Kreis, der wie ein Kuss aussieht, die andere Hand liegt auf der Wölbung ihrer Brust. »Ich bin zu einsam aufgewachsen. Viel zu einsam.«
Er erwidert nichts, doch er spürt, wie der Tequila langsam in ihn hineinsickert und ihn aus sich herausführt, und gleich wird er aufstehen und mit der Hand über ihr Bein streichen.
»Jedenfalls, es ist ein Roman, aber er basiert auf einer wahren Geschichte. Über die letzte Frau auf San Nicolas. Eine Indianerin. Eine Chumash. Die spanischen Padres haben um 1840 oder so alle Einwohner der Insel zum Festland gebracht, und sie war die einzige, die zurückgeblieben ist. Es ist eine tolle, eine wirklich tolle Geschichte. Wie Robinson Crusoe. Darüber, wie sie überlebt hat.«
»Hat sie sich versteckt, als die Padres kamen?« Er hebt sein Glas, hält es kurz ins Licht und schiebt dann die Zungenspitze vor, um die Salzkristalle auf der Innenseite des Randes abzulecken. »Das hätte ich getan.«
»Nein, sie hat sich nicht versteckt – sie wollte mitfahren.«
»Oder war es wie in einem dieser Märchen, wo das Kind den Eltern nicht gehorcht und sich davonschleicht, um heimlich eine zu rauchen oder so? Vielleicht hat sie an sich herumgespielt. Das war doch bestimmt verboten. Oder fanden die Indianer so was gut?«
»Nein, so war es nicht. Es war wegen ihrem kleinen Bruder. Als alle auf dem Schiff waren und man gerade die Segel setzen wollte, entdeckte sie, dass er fehlte. Er war erst drei oder vier und in dem Gedränge verlorengegangen. Oder vielleicht hat er sich versteckt – ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, in der Geschichte wird es gar nicht erklärt. Jedenfalls, als sie merkte, dass er nicht da war, sprang sie über Bord und schwamm zurück zur Insel, um ihn zu retten. Und weil Wind aufgekommen war, konnte das Schiff nicht zurückkommen und sie holen.« Sie hält inne, nippt an ihrem Glas und sieht ihm in die Augen. »Das Traurige ist, dass er einen Monat später gestorben ist. Die wilden Hunde haben ihn erwischt.«
»Wilde Hunde? Auf San Miguel?«
»Verwilderte Hunde, die Jahre zuvor von Indianern zurückgelassen worden waren. Jetzt gibt es dort natürlich keine mehr, aber –«
»Ja, na klar. Wahrscheinlich hat Alma Boyd Takesue einen nach dem anderen umgebracht.«
»Sie hat zwei davon gezähmt, und sie hatte auch ein Pärchen zahme Raben. Und sonst keine Gesellschaft, bis sie achtzehn Jahre später gerettet wurde – man brachte sie nach Santa Barbara, und da ist sie krank geworden und innerhalb von sechs Wochen gestorben, weil sie so lange weit entfernt von allen anderen Menschen gewesen war und natürlich keine Abwehrkräfte mehr hatte. Habt ihr das nicht in der Schule gelernt?«
Er zuckt die Schultern. »Vielleicht. Ja, kann sein.«
»Ich erinnere mich an ihr Kleid«, murmelt sie, und ihre Augen sehen über den Rand des Glases ins Unbestimmte. Er betrachtet ihre
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