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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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habe? Na? Warum?«
    Sie erwiderte nichts. Die Flyer waren seine Idee. Er hatte sich für schweres Papier in Gelborange entschieden, weil es ins Auge fiel und man ein solches Stück Papier nicht einfach zerknüllte und wegwarf, ohne einen Blick darauf zu werfen und die Botschaft aufzunehmen, und das war ja der Sinn der Sache. Dann hatte er eine sehr saubere Nahaufnahme von einem schneeweißen Schwein heruntergeladen – er hätte schwören können, dass es grinste, seine Haut war so glatt und geschmeidig wie die eines Menschen, es hatte die Ohren aufmerksam aufgestellt und blickte in die Kamera – und das Foto mit einem roten Kreis umrahmt und mit einem schrägen, ebenfalls roten Verbotsbalken versehen. Darüber stand in Großbuchstaben: STOPPT DAS SCHLACHTEN! Die Ratten waren tot, die Ratten waren Geschichte. Die nächsten auf der Liste waren die Schweine.
    »Weil ich derjenige bin, der in den Knast geht, nicht du! Und ich hoffe, du hast deinen Schönheitsschlaf gekriegt, denn ich war die ganze Nacht auf. Scheiße! Ich meine, kannst du vielleicht zur Abwechslung auch mal an mich denken? Nur für eine verdammte Minute? Bei dem, was auf dem Spiel steht – ich könnte in den Knast wandern, ist dir das eigentlich klar?«
    Sie saß aufrecht neben ihm. Ihre Haltung war tadellos, ihre Augen waren hinter einer übergroßen Sonnenbrille mit limonengrünem Gestell verborgen. Sie sagte sehr deutlich und akzentuiert: »Du wanderst nicht in den Knast.«
    Worauf er – es war absurd, und er wusste genau, dass er sich zum Idioten machte – brüllte: »Doch, verdammt, du wirst sehen!«
    Jetzt befindet sich sein Magen im freien Fall, als er die große, geflieste Halle des Gerichtsgebäudes durchquert – sie ist so groß, dass man mit einem Lastwagen hindurchfahren könnte – und die reichverzierte Treppe hinaufgeht, mit ihren handbemalten Kacheln aus Tunesien (als würden die ihn beeindrucken), dann rechtsherum, wo die Halle sich zum rasenbewachsenen Innenhof öffnet, und schließlich durch einen weiteren Korridor zum Gerichtssaal 2. Die Tür ist riesig, ein gewaltiges Stück dunkles, gewachstes Holz, eingesetzt 1929, als dieses Gebäude errichtet wurde, und sie öffnet sich zu einem Gerichtssaal aus einer anderen Zeit: gewölbte Decke, Holztäfelung, Bänke mit hohen Lehnen, eine hinter der anderen, so dass sie aussehen wie Kirchenbänke. In der Kirche des Gesetzes. Er sieht die Gerichtsstenographin hinter ihrem Tisch an der Seite des Saals, die Empore in der Mitte der Stirnseite, wo der Richter, wie er annimmt, erscheinen wird, wann es ihm gefällt, und den Gerichtsdiener mit seinem Schmerbauch, dem stolzierenden Gang und einem Gesichtsausdruck, aus dem äußerste Gleichgültigkeit spricht: Niemand ist unschuldig, niemand.
    »Hier entlang«, murmelt Sterling und nimmt seinen Arm. Anise bleibt einen Schritt hinter ihm, und er strafft die Schultern und geht durch den Mittelgang nach vorn, als schritte er bei der Premiere seines Films über den roten Teppich. Sollen sie doch alle glotzen – was kümmert es ihn? Die erste, die er sieht, ist Alma, Alma Boyd Takesue, in der Mitte der zweiten Reihe, und sie macht ein Gesicht wie ein Scharfrichter. Sie hebt den Kopf und wirft ihm einen kurzen bösen Blick zu, bevor sie sich an Sickafoose wendet, der wie eine Holzpuppe neben ihr sitzt, und wie gern er sich ihn mal vornehmen würde, nur für eine Minute hinter verschlossenen Türen oder in irgendeiner Gasse, Herrgott, ja, aber Sterling führt ihn zu einer Bank ganz vorn, wo er dem ganzen Mob den Rücken kehren wird, und für einen Augenblick will er sich abwenden, aber dann besinnt er sich und schiebt seinen Hintern über das abgewetzte, polierte Holz, und Anise streicht ihr Kleid glatt und setzt sich neben ihn. Und sie wenigstens sieht gut aus: Sie hat die Augen geschminkt und ein wenig Lippenstift aufgelegt, nicht zuviel, denn eigentlich braucht sie das gar nicht, ihr Kleid ist weiß – die Farbe der Reinheit, der Unschuld und des Respekts – und reicht bis zu den Schäften der kirschroten Cowboystiefel, und ihr Haar fällt ihr in Locken über die Schultern wie ein Dschungel. Er spürt Stolz in sich aufsteigen. Anise Reed. Die Schönheit, die Tierfreundin, die Sängerin – sie gehört ihm und nicht ihnen, nicht dem aufgeblasenen Gerichtsdiener oder Tim Sickafoose oder Ranger Rick oder dem Richter, der jetzt durch die Tür in der Stirnwand eintritt und aussieht wie der Diktator eines Landes der Dritten Welt, von dem keiner je

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