Grün war die Hoffnung
Ticken einer Uhr oder das Murmeln eines Radios, keine digitalen Pieptöne, kein Summen und Brummen irgendwelcher Geräte. Er hört das Wasser am Rumpf plätschern, er hört das Knarzen der Knorpel in den Gelenken einer vorbeifliegenden Möwe. Der Strand schimmert, als würde er von unten beleuchtet. Die Klippen umschließen das alles.
»Willst du noch eine?« fragt sie. »Und vielleicht ein Sandwich? Ich hab was von dem Gruyère gekauft, den du so gern magst. Und Ciabatta. Wie wär’s?«
Er hat das Sonnensegel aufgespannt, damit das Deck im Schatten liegt, denn sie sorgt sich um ihre Haut, die milchweiß ist, so weiß wie das Fleisch der Kälber, denen man Licht und Eisen vorenthält, damit sie all den Metzgern und Fleischfressern erstklassiges Kalbfleisch liefern, und als sie mit zwei Sandwiches und dem Shaker aus der Kombüse zurückkehrt – und hier ertönt das erste mechanische Geräusch, das leise Klicken der Eiswürfel, die irgendwo in den Tiefen des Bootes aus dem Eisbereiter fallen –, sieht er, dass sie das Bikinioberteil ausgezogen hat. Warum auch nicht? Sie erwarten ja keinen Besuch zum Mittagessen.
Ihr Anblick – leuchtende Haut, schwere, nicht ganz gleich große Brüste – erregt ihn, und wer würde es ihm verdenken? Um auf den Anblick der praktisch nackten Anise nicht zu reagieren, müsste er schon im Koma liegen. Und das Gute ist: Sie haben den ganzen Tag und die ganze Nacht und morgen noch einmal den ganzen Tag und die ganze Nacht. Kein Grund zur Eile. »Schön«, sagt er – es ist das Adjektiv des Tages –, als sie ihm den Teller reicht und sich über ihn beugt, um ihm nachzuschenken, und er denkt an die Frauenzeitschriften, die sie herumliegen lässt, auf dem Cover ein aufgebrezeltes Model in einem Strahlenkranz von Themen, so dass es aussieht, als wäre es die vielarmige Göttin Kali: Die Liebesgeheimnisse der Stars; Wie Sie Ihren Partner erotisch befriedigen (mit Garantie!); 63 Tricks, wie Sie ihm Lust machen . Als wäre das so schwer. Du brauchst dich nur auszuziehen, Baby, und wenn er nicht tot ist, kommt er in Schwung.
Es gibt also einen hübschen kleinen Kitzel. Er hat einen Ständer, während er sein Sandwich isst, an seiner zweiten Margarita nippt, die Wellen betrachtet und sich von ihrer angenehmen Stimme umhüllt fühlt, als würde sie singen, und vielleicht tut sie das ja auch. Bald, wenn ihm danach ist, wird er aufstehen, das Bikinihöschen über ihre Oberschenkel hinunterstreifen, ihre Beine an den Füßen anheben und ihr das Ding ausziehen. Jetzt aber genießt er nur den Augenblick. Wie alle Frauen kann sie tagelang brüten und über irgendeine eingebildete Kränkung schmollen, über Dinge, die derart unwichtig sind – über das, was jemand in der Arbeit zu ihr gesagt hat, oder die Farbe eines Kleids, von dem sie eigentlich wusste, dass sie es nicht hätte kaufen sollen –, dass er manchmal an ihrer geistigen Gesundheit zweifelt, aber so gut gelaunt wie jetzt hat er sie noch nie erlebt, so glücklich, hier zu sein, auf dem Deck eines vor ihrer Privatinsel ankernden Bootes, um halb eins an einem Werktag, wo alle anderen arbeiten müssen, dreiviertelnackt und so hingegeben an den Genuss des Augenblicks wie er selbst. Er hat sie noch nicht berührt, aber sie ist feucht, das weiß er, und er denkt, dass sie es vielleicht gleich hier tun sollten, an Deck …
»Weißt du, woran mich das erinnert?« fragt sie, streckt die Beine ganz aus und drückt mit den Zehen gegen die Reling. Der Fuß ihres Glases balanciert auf dem Brustbein, zwischen ihren Brüsten. »Ich meine, ganz allein hier draußen zu sein – nichts als Wasser bis … wohin? L. A.? Mexiko?«
»Ja?« sagt er. »An was erinnert dich das?«
»An die Insel der blauen Delphine . Hast du das mal gelesen?«
»Ich weiß nicht. Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Es ist eigentlich ein Kinderbuch, glaube ich, oder vielmehr ein Jugendbuch. Meine Mutter hat’s mir vorgelesen, als ich klein war, immer wieder – ungefähr ein Jahr lang war es mein Lieblingsbuch.«
»Wie alt warst du da?«
»Ich weiß nicht. Elf, zwölf vielleicht.«
Er denkt kurz darüber nach, versucht sie sich mit zwölf Jahren vorzustellen, die pubertierende Anise mit ihrem honigfarbenen Haar und den sich rundenden Gliedmaßen, mit den Brüsten, die gerade erst aufgehen, als würden sie aus einem Samen sprießen, was sie ja in gewisser Weise auch tun, denn in ihren Genen ist alles programmiert: ihr Lächeln, ihre Stimme, dieses sanfte, elegante,
Weitere Kostenlose Bücher