Grün war die Hoffnung
sie, mit gefesselten Scheren, und ihr Schicksal war besiegelt. Jemand legte Geld für sie hin, nahm sie mit nach Hause und kochte sie bei lebendigem Leib. So war das eben. Er dachte nicht weiter darüber nach.
Das Erwachen war vor etwa zwanzig Jahren gekommen, nicht so sehr als unvermittelte Offenbarung, sondern vielmehr als ein langsames Lüften des Schleiers, ein Einströmen von Licht und Klarheit, das sein Leben veränderte. Er war sechsundzwanzig, arbeitete sechzehn Stunden am Tag in seinem ersten Laden, dem großen, im Zentrum von Santa Barbara, der in einem Durchgangsviertel lag, drei Blocks von der State Street entfernt, in einem gesichtslosen Betonbau, der von einer Autowerkstatt bis zu einer Dentalklinik alles hätte beherbergen können. Drei Straßen weiter war das Leben – Touristen, Bars, Restaurants, Geschäfte –, doch in diesem Block gab es nur eine Taquería und einen winzigen Park, der ausschließlich von Pennern und dem einen oder anderen bekifften Schüler und seiner tätowierten Freundin frequentiert wurde. Der Bürgersteig war mit dunklen Flecken übersät, in den verdorrten Büschen entlang der Straße lagen leere Flaschen, im Portal des Vordereingangs roch es nach Urin und Schlimmerem, und die blassen verputzten Wände waren dicht mit schwarzen Graffiti verschmiert.
Es war ein trauriger Zustand, fand er, es machte ihn ganz verrückt. All seine Gedanken waren auf das Geschäft ausgerichtet, er wollte Kunden anziehen und sein Angebot erweitern, und selbstverständlich spielte die Wahrnehmung der Kunden eine äußerst wichtige Rolle. Wer, und sei er der hartgesottenste Audiofreak, wollte sein schwer verdientes Geld in einem Laden ausgeben, der zwar hip war, aber gegenüber von einem Pennertreffpunkt lag? Das machte ihm Sorgen, er ließ sich auf Brüllduelle mit diversen Säufern und Versagern ein, er schrieb Briefe an den Bürgermeister, den Stadtrat, die Zeitung – »Können wir diese Stadt nicht aufräumen?« –, alles ohne nennenswerten Erfolg. Doch er hatte mehr Glück als andere. Er arbeitete schwer. Bot hervorragende Produkte zu vernünftigen Preisen an. Und weil er selbst ebenfalls ein Elektronikfreak war und sich auskannte, und weil seine Kunden das zu schätzen wussten, kamen sie immer wieder, und das Geschäft begann zu florieren. Noch immer kümmerte er sich nicht besonders um irgend etwas anderes. Er war beschäftigt. Er hatte zu tun.
Dann gab ihm die Studentin, die er eingestellt hatte, damit sie den Laden hütete, wenn er unterwegs war, um Geräte zu installieren, eines Nachmittags eine dünne Broschüre mit einem erdgrünen Titelblatt, auf dem das alte Hippie-Friedenszeichen prangte. Er war gerade zur Hintertür hereingekommen, nachdem er der Reklamation einer Frau in mittleren Jahren mit sonnengegerbter Haut nachgegangen war, die ihn beschimpft hatte, weil die Fernsteuerung des neuen Audiosystems, das er vor knapp einer Woche geliefert hatte, nicht funktionierte (nachdem er eine volle Dreiviertelstunde lang alle möglichen Fehlerquellen geprüft hatte, stellte sich heraus, dass sie die Fernbedienung verkehrt gehalten hatte). Er musterte die Broschüre angewidert. »Was soll das sein?« fragte er das Mädchen und wendete das Heft hin und her. »Ich hoffe, du hast nicht vor, diesen Mist hier zu verteilen, denn sonst –«
»Das ist kein Mist«, sagte sie, und ihre Stimme war so leise, dass es fast ein Flüstern war. »Und ich verteile es nicht an die Kunden, keine Sorge.« Sie hieß Melody Appelbaum – das fällt ihm plötzlich wieder ein, während er in der Zwischenwelt des Gerichtssaals sitzt, wo Sterling mit monotoner Stimme über irgend etwas spricht und der Richter aussieht, als würde er gleich einschlafen – und studierte an der UCSB. Sie zuckte die Schultern. »Ich dachte, Sie könnten es vielleicht bedeutsam finden.«
Bedeutsam . Er könnte es bedeutsam finden. Nicht nützlich oder augenöffnend oder revolutionär, sondern bedeutsam. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, steckte er die Broschüre in die hintere Tasche seiner Jeans, wo er sie, erst als er zu Bett ging, wieder entdeckte. Mäßig interessiert begann er zu lesen. Oben auf der ersten Seite stand, wegen des billigen Drucks etwas verschwommen, der Titel: Die Rechte der Tiere . Es folgte ein Zitat von Arthur Schopenhauer: »Die vermeinte Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn, dass unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei, oder, wie es in der Sprache jener Moral heißt, dass es
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