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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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verlassen hatte, wütend auf ihre Tochter, auf ihren Chef und den Vermieter, der zweihundertfünfzig Dollar im Monat für eine trostlose, muschelgraue Wohnung über einem Pizzaservice an der Route 1 in Oxnard verlangte, wo Nebel über allem hing wie der Tod und die Lastwagen vor dem Fenster, durch das so wenig Luft hereinkam, dass es ebensogut hätte zugenagelt sein können, nie aufhörten, Dieselabgase auszuspucken. Als ihre beste Freundin und Arbeitskollegin Valerie Bruns also ein Stellenangebot erwähnte – eine Chance, das alles hier hinter sich zu lassen, einen Szenenwechsel vorzunehmen, als begänne jetzt der zweite Akt eines jener Stücke, in denen sie auf der High School mitgespielt hatte –, wurde sie hellhörig. Sehr hellhörig.
    »Es ist auf einer Insel«, sagte Valerie.
    »Einer Insel?« wiederholte sie. »Wie meinst du das, eine Insel?«
    »Auf Santa Cruz.«
    Rita hatte Valerie angerufen, weil es Freitag abend war und sie gedacht hatte, sie könnten gemeinsam ausgehen, etwas trinken, Musik hören, einfach ein bisschen herumhängen, aber Valerie war bei ihrer Mutter zum Abendessen eingeladen und wusste nicht, wie lange es dauern würde. Sie kamen auf die Arbeit zu sprechen – beide waren Studienberaterinnen an der Port Hueneme Junior High School – und redeten über die stellvertretende Direktorin, die eine verkniffene Zicke war, und Mrs. Paris, die den Förderunterricht gab, und sie waren sich einig, dass sie lieber heute als morgen kündigen würden, als Valerie sagte, sie habe von einem Stellenangebot gehört.
    »Ich dachte, Santa Cruz ist eine Stadt – ich glaube, wir sind da mal aufgetreten. Da gibt’s ein College, stimmt’s?«
    »Nein, ich meine die Insel Santa Cruz.«
    »Wo ist die?«
    Ein langer, müder Seufzer. »Du kennst doch das Henderson am Yachthafen? Wo wir mal Margaritas getrunken haben?«
    »Ja, ich glaube schon. Warum?«
    »Weißt du noch, dass wir auf der Terrasse gesessen haben und Anacapa sehen konnten? Ich hab’s dir gezeigt, und du warst ganz begeistert.«
    »Ja, kann sein.« In letzter Zeit trank sie zuviel, aus Wut und Trauer und Langeweile, und sie konnte sich nur dunkel an den Ort erinnern. Es war am Wasser gewesen, soviel wusste sie noch.
    »Also, die Insel hinter Anacapa, die große Insel, viermal so groß wie Manhattan, das ist Santa Cruz. Meistens sieht man sie nur als braunen, verschwommenen Streifen. Du hast sie gesehen. Jeder hat sie schon mal gesehen. Ist dir wahrscheinlich bloß nicht aufgefallen.«
    Sie trank Wodka ohne Eis aus einem Glas, das sie neben der Flasche im Tiefkühlteil des Kühlschranks aufbewahrte. Absolut – das war die einzige Extravaganz, die sie sich leistete, Absolut und Zigaretten. Er brannte auf den Lippen und umschmeichelte die Zunge. »Und um was geht’s bei dem Job?«
    »Es ist ein Freund von mir, Baxter Russell. Er braucht da draußen eine Köchin. Er hat ein Stück Land gepachtet, die Scorpion Ranch, wo er Schafe züchtet, und er sucht jemand, der für ihn und sechs, sieben andere kocht. Cowboys sozusagen … « Valerie lachte. »Oder vielmehr Schafboys. Wenn’s das Wort überhaupt gibt.«
    Zwar sagte sie als erstes: »Aber ich bin keine Köchin, ich bin Musikerin«, doch die Vorstellung – eine Insel voller Cowboys, und zwar mitten im Ozean – entwickelte bereits Bilder in ihrem Geist, eine ganze Abfolge von Bildern: das Ranchhaus mit den rankenden Glyzinien, der scharfe Geruch der Pferde, wenn sie von den Weiden kommen. Wie wollt ihr eure Steaks, Jungs? Ihre Schultern, ihre Augen, Halstücher und breitkrempige Hüte, hochgewachsene, sehnige, einsame Männer. Wie es Ihnen am liebsten ist, Ma’am .
    »Aber ich will mit ihm reden«, sagte sie schnell, denn sie fürchtete, Valerie könnte das Thema wechseln oder »Bis dann« sagen und auflegen, um zum Hackbraten ihrer Mutter und den Erdbeer-Margaritas ihres Vaters zu eilen. »Unbedingt. Sag ihm, dass ich unbedingt mit ihm reden will.«
    Also gab Valerie ihr seine Telefonnummer, und ihr gefiel seine Stimme: ein Bariton mit einer robusten Rauhheit an den Kanten, die Stimme eines Predigers oder Countrysängers. Sie verabredeten sich für den folgenden Tag auf ein Sandwich in einem Café an der West 4 th Street, das nur fünf Blocks entfernt lag, so dass sie zu Fuß gehen konnte, und das war gut, denn ihr Wagen war so tot wie das Erz, das man ausgegraben hatte, um ihn herzustellen. Der Himmel war bedeckt, der Nebel stieg vom Meer auf wie Dampf von einer Teekanne, von einer Million

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