Grün war die Hoffnung
Geisterhaus, in das sie manchmal ging, um Schutz vor Regen zu suchen oder den Phantomschritten der Schäfer zu lauschen, die einst auf den Dielenbrettern herumgestampft waren. Dort würden die Männer sein, das wusste sie. Aber was sie nicht gewusst hatte – was er ihr nicht gesagt hatte –, war, dass sie den Segen der Besitzer hatten. Dass die Besitzer beschlossen hatten, zu diversifizieren, weil die Schafzucht so gut wie nichts einbrachte und sie wie jeder Investor eine Rendite wollten. Sie lebten an der Küste, in schönen, warmen Häusern, sie aßen in Restaurants und gingen ins Kino, in den Yachtclub, ins Konzert oder wohin auch immer und hatten keine Ahnung, wieviel Arbeit und Engagement Bax und sie in die Ranch gesteckt hatten. Nicht die leiseste Ahnung. Nicht den Hauch einer Ahnung.
Plötzlich hatte sie Angst. Vor drei Stunden noch hatte sie sich sicher gefühlt, sie war heiter gewesen, gelassen, ihre Gedanken waren auf das Lammen gerichtet gewesen, auf das Leben, auf Geben und Zuwachs, und jetzt war sie in einem brennenden Haus mit vernagelten Fenstern gefangen. Sie riss am Lenkrad, trat auf die Bremse und dann aufs Gas. Es gab einen Augenblick der Schwerelosigkeit, gefolgt von einem rumpelnden Schleifen und dem Aufspritzen pissgelben Wassers, als sie in den Scorpion River eintauchten und sich die gegenüberliegende Böschung hinaufkämpften. Der Schalthebel vibrierte unter ihrer Hand, der Motor hustete und keuchte. Sie schaltete in den ersten Gang und fuhr die Straße zum Hügelkamm hinauf, immer weiter, vorbei an der Stelle, wo Bax mit dem Jeep abgestürzt war, und in Serpentinen immer höher hinauf, bis Scorpion Bay unter ihnen lag: Die Ranch war das Zentrum eines Spinnennetzes aus Straßen und Wegen, die sich von ihr in alle Richtungen erstreckten, als wäre sie der Mittelpunkt der Welt. Die Bäume webten ihren grünen Saum, und die Mutterschafe waren nur noch kleine farblose Flecken, die ihre Lämmer leckten. Das Gewehr lag zu ihren Füßen auf dem Wagenboden und rutschte hin und her, während sie durch Schlaglöcher und Kurven fuhr. »Was hast du vor?« fragte sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre Schultern zuckten, der Sitz unter ihr bockte, und Bax klammerte sich an den Türgriff.
Er sah sie gequält an. Die Schmerzen in den Rippen machten ihm zu schaffen, das war deutlich, aber im Augenblick empfand sie keinerlei Sympathie für ihn, nicht das allerkleinste bisschen. »Ich weiß nicht«, sagte er, und das Gewehr rutschte mit dem Lauf voran durch das Fahrerhaus, so dass sie es mit dem Fuß vom Gaspedal schieben musste. »Ich glaube, ich werde mal mit ihnen reden müssen.«
Als sie den Hügelkamm erreichten, begann der Himmel aufzuklaren. Die dunklen Wolken zogen ab und verdeckten die Küste des Festlands im Norden, und alle hatten einen silbernen Saum. Hier kamen sie besser voran, denn das Terrain auf der Mesa zwischen den beiden Ranches war völlig eben, aber die Straße war schlammig, und hinter jeder Kurve lauerten herabgerollte Felsbrocken oder mehr oder weniger große Erdrutsche. Ein halbes Dutzend Mal musste sie aussteigen und Felsen beiseite wälzen oder die Schaufel schwingen, die für ebensolche Gelegenheiten auf der Ladefläche lag, und die ganze Zeit saß Bax da und kochte innerlich. Selbst zur besten Jahreszeit war die Straße nicht gut befahrbar – jedes Frühjahr nach der Regenzeit mühten sich Bax und Francisco abwechselnd, den alten John-Deere-Bulldozer zum Leben zu erwecken, um Felsen und Gebüsch aus dem Weg zu räumen und die ausgewaschenen Schründe zu schließen –, doch jetzt, da der Jeep mit seinem Allradantrieb Schrott war und nur noch der Pick-up zur Verfügung stand, war sie besonders schlimm. Während sie schleudernd die Mesa durchquerten, dachte Rita mit Grauen an die Serpentinen, die sie gleich würde hinunterfahren müssen. Das würde schlimm werden – wenn die nasse Erde nachgab, wenn die Räder sich auf die Böschung zubewegten, die keine Böschung mehr war, sondern die Kante eines Abhangs, einer Schlucht.
Als sie den nächsten Hügelkamm erreicht hatten und die Straße abzufallen begann, konnten sie Smugglers’ Ranch und den inzwischen verwilderten Olivenhain erkennen, den jemand angelegt hatte, als die Ranch noch bewirtschaftet gewesen war, als es Heuwiesen für das Vieh gegeben und man Trauben gepflückt und Olivenöl gepresst hatte. Alles sah aus wie immer, jedenfalls von hier oben, aber sie wagte es nicht, die Augen für mehr als einen kurzen Blick
Weitere Kostenlose Bücher