Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Mund beatmen – aber nein, sie musste ihn an Deck bringen, ja, das musste sie tun, sie musste ihn an Deck bringen und das Wasser aus seiner Lunge pressen, denn er war dabei zu ertrinken, er ertrank, und Mickey ebenfalls. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die Wellen an, gegen das hüpfende Boot, das ihr auszuweichen schien, als wäre dies ein Spiel, doch schließlich gelang es ihr, mit gereckter Hand eine Sprosse der Leiter am Heck zu packen, während sie mit der anderen Hand Greg festhielt – am Gesicht, am Kopf, am Kragen seines Taucheranzugs, wo immer sie ihn am besten halten konnte. Verzweifelt und selbst nach Luft ringend, versuchte sie immer wieder, ihn an Bord zu bringen, raus aus dem Wasser, doch sie hatte keinen festen Halt, es gab nichts als die nachgiebigen Wellen und den glatten Rumpf des Bootes, und schließlich klemmte sie, als Greg von einer Welle angehoben wurde, seinen Arm hinter eine Leitersprosse, kletterte an Deck und zerrte am Ärmel seines Taucheranzugs, doch Greg glitt wieder zurück, tauchte unter und wurde von der nächsten Welle gewiegt.
    Sie zitterte, sie bekam kaum mehr Luft, doch sie sprang immer wieder ins Wasser. Es gelang ihr nicht, den schweren, leblosen Körper an Bord zu heben. Sie hatte nicht die Kraft. Das Boot machte nicht mit. Die Wellen zogen an ihr, klatschten ihr ins Gesicht, das Wasser brannte auf den Lippen, stach wie Nadeln in ihre Augen. Sie keuchte, sie mühte sich, sie schrie vor Verzweiflung. Nicht dass es geholfen hätte. Nichts konnte mehr helfen. Greg ertrank nicht, ebensowenig wie Mickey, und keine noch so gründliche Mund-zu-Mund-Beatmung hätte einen von ihnen zurückgeholt, denn sie waren beide tot. Gestorben an einer Kohlenmonoxidvergiftung, lange bevor sie begonnen hatte, sich zu sorgen, bevor sie an Gregs Schlauch gezogen hatte, ja noch bevor sie in die Kajüte gegangen war, um sich ein Sandwich zu machen. Der Wind hatte gedreht, das Boot hatte um den Anker gedreht, der Auspuffkrümmer hatte sich gelöst. Sie waren kaum zehn Minuten unten gewesen, als sie das Bewusstsein verloren hatten.
    Innerhalb weniger Minuten waren zwei andere Boote da, ein Seeigelfischer und ein Ausflügler. Männer riefen und sprangen ins Wasser, packten Greg und Mickey und Kat und zogen sie an Bord, der Wind heulte, und die Sonne stand wie festgeschraubt am Himmel, um den Zeitpunkt zu markieren – 3. August 1984, 10.30 Uhr –, den Augenblick, in dem sie zur Witwe wurde wie ihre Mutter vor ihr, den Augenblick, in dem Alma, die fünfzehn Jahre alt war und sich am Strand von Venice bräunen ließ, wo die Muskelmänner aus den Fitness-Studios trabten und die Freaks und die Punks und die Straßenmusiker an der Promenade ihr Ding abzogen, für immer ihren Vater verlor.
    Nach drei Zugaben, einer wohl zehn Minuten anhaltenden Ovation und dem rituellen Streuen langstieliger Rosen vor Micah Strouds Füßen durch eine Schwesternschaft kreischender Fans, bei deren Anblick Alma sich nur noch alt fühlt, schiebt sie sich neben ihrer aufgekratzten Mutter durch den Mittelgang und die großen Türen.
    »Du hattest recht«, sagt Kat, als sie in die Milde der Nacht und den ersten feinen Nieselregen des Herbstes hinaustreten, wo nach der trockenen Luft im Theater, nach der Trockenheit des Sommers, der versengten Hügel und der ausgedörrten Vegetation, nach der Hitze, die das Ökosystem so stark belastet hat, alles feucht ist und süß duftet, »er ist tatsächlich was Besonderes. Ich meine, ich fand ihn toll. Und diese Frau, die er dabeihatte – wie hieß die noch mal? Die er aus dem Publikum auf die Bühne geholt hat. Die war auch gut. Nicht der Joni-Mitchell-Typ, eher wie Buffy Sainte-Marie vielleicht.«
    »Wie wer?«
    »Du weißt schon – sie war eine Folksängerin, in den Sechzigern. Du hast sie bestimmt bei uns zu Hause gehört, als du klein warst. Dein Vater mochte sie, das weiß ich noch. Jedenfalls bevor er Janis gehört hat.« Ein Lachen, gesättigt mit der Freude der Erinnerung. »Aber wer wollte schon noch was anderes hören, nachdem er Janis gehört hatte?«
    Die Straßenlaternen machen den Dunst sichtbar, verwandeln winzige Tröpfchen in silbrige Striche, die auf den feuchten Asphalt hinabsinken, und sie sollte begeistert sein, sich erneuert fühlen – Micah Stroud und der erste Regen, ihr Geburtstag, ihre Mutter, die Inseln da draußen im Nebel, und alles, wofür sie gearbeitet, worauf sie gehofft hat, beinahe geschafft –, doch sie fühlt nichts dergleichen. Sie fühlt sich

Weitere Kostenlose Bücher