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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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tot«, sagt er. »Sie ist abgestürzt.« Er sieht es noch einmal vor sich, den schlaffen Körper, die verdrehten Gliedmaßen, ganz weiß, wo alles andere braun, grau und grün war. »Auf der Insel. Im Willows Canyon. Wir konnten nichts tun …«
    Am anderen Ende ein gedämpfter Ausruf, ein gemurmelter Fluch. »Hat die Polizei …? Oder die Küstenwache …?«
    Er will das nicht weiter erörtern, er weiß nicht mal, warum er sie überhaupt angerufen hat. Oder nein: Er hat sie angerufen, um ihre Stimme zu hören, weil er Trost braucht, vor allem, weil er es loswerden muss, denn er wird nicht schlafen können, ganz gleich, wie erschöpft er ist, das weiß er jetzt schon. »Ich will, dass du kommst.«
    »Ich soll kommen? Ich kann nicht. Du hast mich aus dem Tiefschlaf geweckt, und morgen muss ich arbeiten. Ich hab den Gig in Cold Spring, weißt du nicht mehr? Den frühen, um fünf.«
    Als er im Yachthafen an seinem Liegeplatz festmachte, erwarteten ihn an der Helling zwei Polizeiwagen, mit blinkenden Lichtern, als hätten sie gerade eine Straßensperre errichtet, und obendrein wurde er vom Boot der Küstenwache eskortiert. Auch ein Krankenwagen war da, dessen Signallichter die Szene in abwechselnd gelbe und rote Streifen zerschnitten, sowie eine wimmelnde Menge aus Gaffern und halbtoten Pennern, aus den Büschen gelockt von der Aussicht auf ein Spektakel. Sterling, in einem dreiteiligen Anzug mit Krawatte, wirkte wach und aufmerksam, hielt die Polizisten auf Distanz und bewahrte ihn davor, eine Nacht im Gefängnis zu verbringen, und zwar aufgrund einer Anzeige wegen vorsätzlichen unbefugten Betretens, die Alma Boyd Takesue im Namen ihrer Kollegin Annabelle Yuell von Nature Conservancy erstattet und durch Ranger Richard Melman per Funk hatte übermitteln lassen. Alle drei, auch Wilson, erhielten eine Vorladung und wurden, nachdem sie zugesagt hatten, vor Gericht zu erscheinen, entlassen, während Sterling, das Gesicht vor Eifer und Empörung leicht gerötet, darauf bestand, Anzeige gegen Alma und die ausländischen Jäger zu erstatten, wegen tätlichen Angriffs, Freiheitsberaubung und vorsätzlichen Zufügens erheblicher seelischer Schmerzen, indem sie seine Mandanten daran gehindert hätten, die verletzte beziehungsweise tote Frau in ein Krankenhaus zu bringen. Alma war auf der Insel. Sterling stand in der Polizeiwache am Tisch des wachhabenden Offiziers, steif und unerschütterlich, das Gesicht wie aus Stein gemeißelt. Die Anzeige und die Aussagen wurden aufgenommen. Josh fuhr heim. Wilson fuhr heim. Dave fuhr heim.
    »Ich muss mit dir reden«, sagt er.
    »Morgen.«
    »Du hast mich nicht verstanden: Wir sind im Arsch, es ist vorbei. Toni Walsh – du hättest ihr Gesicht sehen sollen. Sie wird mich fertigmachen.«
    Am anderen Ende ist Schweigen.
    »Komm her.«
    »Schlaf erst mal, Dave.«
    Ihre Bestimmtheit macht ihn wütend. »Nein« – plötzlich schreit er, und die Hunde fahren erschrocken und mit hektisch klickenden Schritten von ihren Fressnäpfen zurück –, »erzähl mir nichts von Schlaf. Hast du mich nicht gehört? Ich brauche dich!«
    Eine Pause. Vollkommen ungerührt, so ruhig und gelassen wie ein Schlafmittel, sickert ihre Stimme aus dem Hörer, ein langsames Träufeln gnadenloser Silben: »Gute Nacht, Dave. Bis morgen früh.«
    Er erwacht kurz nach Mittag und ist erbittert. Er weiß nicht, wann er schließlich eingeschlafen ist, nachdem er dagelegen, an die Decke gestarrt und jedes noch so kleine Knacken und Knarzen des Hauses gehört hat, als wäre es zehnfach verstärkt, aber in dem Moment, da er die Augen aufschlägt, sind alle Nöte und Erschütterungen des gestrigen Tages wieder da. Der Morgen ist vorüber. Wenn Anise angerufen hat – oder Wilson oder Sterling oder sonst jemand, AP zum Beispiel, um eine Stellungnahme zu bekommen, das Mitteilungsblatt der Schweineschlachterinnung, oder Harley Meachum, um ihm mitzuteilen, dass alle vier Filialen gleichzeitig abgebrannt sind –, dann hat er es nicht gehört. Und er ist körperlich und geistig so erledigt, dass er es nicht mal in Betracht zieht, den Anrufbeantworter abzuhören. Scheiß drauf, denkt er. Scheiß auf die Welt. Scheiß auf alles.
    Barfuß geht er in Shorts und Flanellhemd zur Haustür, um die Hunde hinauszulassen, und mit vorsichtigen Schritten weiter die Einfahrt hinunter, um die Zeitung zu holen (in der noch nichts davon stehen wird, das weiß er, denn Toni Walsh saß auf der Insel fest und ist erst zurückgekehrt, als diese Ausgabe

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