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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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fleckabweisenden Teppich und starrt schon wieder zu ihm auf.
    Die Digitaluhr im Armaturenbrett zeigt 2:15, als er in die Einfahrt biegt und auf die Fernbedienung für das Garagentor drückt. Er ist so erschöpft, dass er kaum das Lenkrad drehen kann. Das Scheinwerferlicht streicht über den Rasen – keine kauernden Kreaturen der Nacht, keine umherschleichende fette Hauskatze, nur üppiges, sattgrünes, gleichmäßig geschnittenes Gras –, und als er in der Garage den Motor abgestellt hat, sitzt er da und hat nicht die Kraft, die Wagentür zu öffnen. Er stellt sich die Eingangshalle vor, die Treppe, sein Bett mit den kühlen Laken, den weichen Kissen und der eierschalenfarbenen Tagesdecke, die seine Mutter gehäkelt hat, doch er bleibt, wo er ist, wie eingefroren, und lauscht auf das Ticken des Motors, bis der Bewegungsmelder über dem Garagentor abrupt das Licht ausschaltet. Er denkt an Anise – er muss sie anrufen, ganz gleich, wie spät es ist – und dann an die Hunde, die den ganzen Tag im Haus eingesperrt waren, und als er die Fahrertür öffnet, geht das Licht wieder an. Dann steht er auf dem Pflaster seiner Einfahrt, vor seinem eigenen Haus und hinter dem verschlossenen Tor, in Sicherheit. Er atmet die Nachtluft ein, legt den Kopf in den Nacken, so dass der Himmel über ihm zum Leben erwacht. Es ist sternklar, der Regen ist aufs Meer hinausgezogen. Wenn es hier überhaupt geregnet hat. Bis auf das gedämpfte Winseln der Hunde hinter der Haustür ist es ganz still.
    Natürlich liegt Scheiße in der Eingangshalle, aber daran ist nur er selbst schuld – er dachte, er würde sechs, sieben Stunden früher zurück sein. Die Hunde begrüßen ihn, umtänzeln seine Beine und schleichen dann schuldbewusst hinaus in die Nacht, und er lässt die Haustür angelehnt und geht in die Küche, um nachzusehen, ob sie Futter brauchen. Die Futternäpfe sind leer. Der Wassernapf desgleichen. Er schüttet Trockenfutter aus der Tüte, füllt den Napf am Wasserhahn und lehnt völlig erschöpft an der Theke. Sein Mund ist ausgetrocknet, die Lippen sind aufgesprungen. Er schenkt sich ein Glas Wasser ein. Unvermittelt denkt er an Essen – im Kühlschrank ist Asiago-Käse, außerdem gibt es Tomaten, eine Avocado, einen halben Laib Hafer-Nuss-Brot – und gleich darauf an Hochprozentiges. Irgendwas, das ihn ausknipst. Im Barschrank glitzert braunes, farbloses und grünes Glas, und er erwägt einen Tequila, doch dann fällt ihm der weiße Rum im Kühlschrank ein. Das erste Glas klärt seinen Kopf, das zweite bringt seinen Kreislauf in Schwung. Das Sandwich liegt in der Mikrowelle, die Hunde kommen mit klickenden Nägeln herein und trinken geräuschvoll schlabbernd, als er zum Hörer greift und Anises Nummer wählt.
    Es läutet dreimal, dann schaltet sich die Mailbox ein. Nach einer enervierenden Pause hört man im Hintergrund eine wiederholte Folge von Gitarrenakkorden und Anises starke, warme Sopranstimme und dann ihre Ansage: »Hallo, hier ist Anise. Ich kann im Augenblick nicht ans Telefon. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piep. Oder dem Ton. Oder was auch immer.«
    Er wählt die Festnetznummer, lässt es sieben-, acht-, neunmal läuten, legt auf und probiert es noch einmal auf dem Handy. Kurz bevor die Mailbox sich meldet, nimmt sie ab. »Weißt du, wie spät es ist?« Ihre Stimme klingt benommen, schwer von Schlaf.
    »Ich bin gerade erst zurückgekommen.«
    Eine Pause. »Gerade erst?«
    »Es war ein verdammter Alptraum. Von der schlimmsten Sorte. Du kannst es dir nicht vorstellen – du hast Glück gehabt, dass du nicht dabei warst. Schlau von dir, nicht mitzufahren.«
    »Ihr seid doch nicht erwischt worden, oder?«
    »Schlimmer, viel schlimmer.«
    »Was?« Alle Lethargie ist aus ihrer Stimme verschwunden. Er sieht sie vor sich, wie sie im Bett sitzt, die Augen zusammenkneift und konzentriert die Lippen spitzt. »Hast du das Boot versenkt oder ist jemand über Bord gefallen oder was?«
    »Jemand ist ums Leben gekommen.«
    »Ums Leben gekommen? Wie meinst du das?«
    »Kelly.« Plötzlich ist er wieder wütend. Das alles ist nur passiert, weil eine spastische, trampelige, übergewichtige Collegestudentin buchstäblich ums Verrecken nicht das Gleichgewicht bewahren konnte. Auf irgendeinem Parkplatz ein Schild herumzutragen ist eine Sache, in der Wildnis zu wandern eine ganz andere. Er weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat. Er hätte nur Wilson mitnehmen sollen. Nur er und Wilson. Und keine Reporterin. »Sie ist

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